Bundesarbeitsgericht: Befristung ohne Sachgrund wiederholt möglich

Das BAG hat entschieden, dass ein Arbeitsverhältnis auch dann sachgrundlos befristet werden kann, wenn eine frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers beim selben Arbeitgeber mehr als drei Jahre zurückliegt.

Das BAG hat mit Urteil vom 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - entschieden, dass ein Arbeitsverhältnis auch dann sachgrundlos befristet werden kann, wenn eine frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers beim selben Arbeitgeber mehr als drei Jahre zurückliegt. Wir informierten bereits hierüber diese Entscheidung, nunmehr liegt jedoch die Urteilsbegründung vor.

  • Leitsatz des Gerichts:

Der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ohne Sachgrund bis zu zwei Jahre zu befristen, steht ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber nicht nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG entgegen, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt.

  • Sachverhalt

Die Klägerin war beim beklagten Freistaat aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages vom 1. August 2006 bis 31. Juli 2008 als Lehrerin beschäftigt. Während ihres Studiums hatte sie vom 1. November 1999 bis 31. Januar 2000 insgesamt 50 Stunden als studentische Hilfskraft für den Freistaat gearbeitet. Mit ihrer Klage hat sie sich gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt. Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

  • Entscheidungsgründe

Das BAG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die mehr als sechs Jahre zurückliegende frühere Beschäftigung stehe der sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrages nicht entgegen.

1. Kein Anschlussverbot bei dreijähriger Karenzzeit

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG sei die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Das gelte nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden habe. Eine Vorbeschäftigung im Sinne dieser Vorschrift sei allerdings nicht gegeben, wenn das frühere Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliege. An dem bisher vom BAG vertretenen zeitlich völlig uneingeschränkten Verständnis des Verbots der Vorbeschäftigung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG hält der Senat daher nicht mehr fest.

2. Wortlaut und Systematik fordern keine bestimmte Auslegung

Der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zwinge zu keiner bestimmten Auslegung. Er sei im Hinblick auf den Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals „bereits zuvor“ nicht eindeutig. Auch eine gesetzessystematische Textvergleichung gebiete kein bestimmtes Auslegungsergebnis. Die Gesetzesgeschichte deute zwar auf ein zeitlich unbeschränktes Verbot der „Zuvor-Beschäftigung“. Dagegen spreche aber der Normzweck. Die in § 14 Abs. 2 Satz 1 eröffnete Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung solle einerseits Arbeitgebern ermöglichen, auf schwankende Auftragslagen und wechselnde Marktbedingungen durch befristete Einstellungen zu reagieren, und für Arbeitnehmer eine Brücke zur Dauerbeschäftigung schaffen. Andererseits solle § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verhindern, dass die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung zu „Befristungsketten“ missbraucht werde.

3. Lebenslanges Anschlussverbot widerspricht dem Normzweck

Dieser Normzweck rechtfertige allerdings kein lebenslanges Anschlussverbot. Ein solches Verständnis sei überschießend. Wenn zwischen zwei Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehreren Jahren liege, könne von „Befristungsketten“ nicht mehr gesprochen werden. Ein unbeschränktes Verbot könne auch zu einem Einstellungshindernis werden, weil Arbeitnehmern, die vor längerer Zeit schon einmal bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren, die Chance genommen werde, über ein zunächst befristetes Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu gelangen.

4. Eingeschränktes Anschlussverbot ist eine praktikable und rechtssichere Lösung

Die Auslegung entspreche auch dem Interesse an einer praktikablen Regelung sowie Erfordernisse der Rechtssicherheit. Ein zeitlich völlig unbeschränktes Verbot der Vorbeschäftigung bedeute häufig für beide Arbeitsvertragsparteien erhebliche praktische Schwierigkeiten beim Vertragsschluss und Rechtsunsicherheit. Jedenfalls dann, wenn eine Vorbeschäftigung lange Zeit zurückliege, sei deren zuverlässige Feststellung mit beträchtlichen Komplikationen verbunden. Der Arbeitgeber werde bei solchen Unklarheiten im Zweifel von der Einstellung Abstand nehmen. Auch ein Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Vorbeschäftigung könne diese Unsicherheiten nicht ausreichend beseitigen.

5. Einschränkung verfassungsrechtlich geboten

Insbesondere gebiete eine die Wertordnung des Grundgesetzes berücksichtigende „verfassungsorientierte Auslegung“ ein zeitlich eingeschränktes Verständnis des Verbots der Vorbeschäftigung. Ein uneingeschränktes Anschlussverbot begründe die Gefahr, als arbeitsrechtliches Einstellungshindernis die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers unverhältnismäßig zu begrenzen. Der Arbeitnehmer wäre auch bei einer lang zurückliegenden Vorbeschäftigung gehindert, mit einem einstellungsbereiten Arbeitgeber einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag zu schließen.

6. Gesetzgeberische Wertung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist

Die gebotene Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in einem zeiteinschränkenden Sinn erfordere eine im Wege der Rechtsfortbildung vorzunehmende Konkretisierung. Die Gefahr missbräuchlicher Befristungsketten besteht nach Auffassung des BAG regelmäßig dann nicht mehr, wenn zwischen dem Ende des früheren Arbeitsverhältnisses und dem sachgrundlos befristeten neuen Arbeitsvertrag mehr als drei Jahre lägen. Diese Zeitspanne entspreche auch der gesetzgeberischen Wertung, die in der regelmäßigen zivilrechtlichen Verjährungsfrist nach § 195 BGB zum Ausdruck kommt.

  • Bewertung/Folgen der Entscheidung

Die Entscheidung ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung sehr zu begrüßen.

Nach vorherrschender Literaturmeinung und insbesondere bisheriger Auffassung des BAG (Urteil vom 6. November 2003 - 2 AZR 690/02, NZA 2005, 218) sollte jedes in der Vergangenheit liegende Arbeitsverhältnis eine „Zuvor-Beschäftigung“ im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG sein, auch etwaige Nebentätigkeiten während des Studiums, Praktika etc. Die Folge war ein „lebenslängliches“ Anschlussverbot.Dieses Verständnis wurde in der Literatur zu Recht kritisiert. Der 7. Senat hat diese Kritik nunmehr aufgegriffen und mit einer überzeugenden Begründung den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eingeschränkt.Mit dieser Entscheidung hat der Senat ein beschäftigungspolitisch richtiges Signal gesetzt.

Der Gesetzgeber sollte die Entscheidung daher dringend zum Anlass nehmen, die zeitliche Begrenzung des Anschlussverbotes nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einer klaren gesetzlichen Regelung zuzuführen. Zuletzt wurde im Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 angekündigt, das Anschlussverbot im § 14 TzBfG auf ein Jahr gesetzlich zu beschränken. Dies sollte nicht nur die Beschäftigungschancen für Arbeitnehmer erhöhen, sondern auch den Bürokratieaufwand für Arbeitgeber verringern.

Unbestreitbar war die bis zum Jahr 2000 geltende Neueinstellungsregelung, nach der ein befristetes Arbeitsverhältnis erneut abgeschlossen werden durfte, wenn der Arbeitnehmer länger als vier Monate nicht bei demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen ist, mit europäischem Recht vereinbar. Danach reicht sogar ein Zeitraum von drei Monaten aus, um erneut eine sachgrundlose Befristung zu vereinbaren. Es ist daher nur maßvoll, wenn wenigstens — wie im Koalitionsvertrag vorgesehen — eine Grenze von zwölf Monaten als Karenzzeit eingefügt wird.

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