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Veltmann: "Auf das Erlebnis kommt es an"

Zum Ende des Jahres 2014 zieht Dr. Ludwig Veltmann Bilanz. Im Interview erklärt der Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES, warum es auf den Erlebnisfaktor ankommt und was das Thema des Jahres 2015 sein wird.

Berlin, 22.12.2014 — Für das Neue Jahr 2015 ist Dr. Ludwig Veltmann vorsichtig optimistisch. "Die Voraussetzungen sind gut. Aber wir müssen wachsam sein", erklärt der Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES im Interview. Risiken sieht er besonders in der Finanzwirtschaft und in den jüngsten außenpolitischen Spannungen. Die größte Herausforderung bliebe aber die Digitalisierung. Warum Veltmann überzeugt ist, dass die für stationäre Händler und Handwerker eine große Chance bietet, lesen Sie im Interview mit den SynergienNews:

SynergienNews: Herr Dr. Veltmann, wie war das Jahr 2014 für den kooperierenden Mittelstand?

Dr. Ludwig Veltmann: Es war ein besonders herausforderndes Jahr. Wir haben erlebt, wie sich die Märkte massiv verändert haben. Die Verbundgruppen waren in besonderem Maße gefordert, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Die meisten haben dies auch getan. Inwieweit sie allerdings schon einen Erfolgspfad beschreiten können, vermag man noch nicht abschließend zu sagen. Die Digitalisierung stellt für Verbundgruppen als Unternehmerunternehmen aber auch eine ganz besondere Herausforderung dar. Denn sie können mit einer Vorstands- oder Geschäftsführerentscheidung ein bestimmtes Verfahren nicht einfach durchsetzen. Vielmehr benötigen sie dafür den Konsens der gesamten Mitgliedschaft. Diesen in einer Zeit der schnelllebigen digitalen Kommunikation herbeizuführen, ist nicht einfach.
Der private Konsum hat in 2014 starke Impulse gesetzt. Statt es anzulegen, geben die Menschen ihr Geld aufgrund der stabilen Wirtschaftslage und der niedrigen Zinsen lieber aus. Das hat zu der befriedigenden Geschäftslage in mittelständischen Handel-, Handwerk- und Dienstleistungsunternehmen beigetragen. Auf der anderen Seite gab es einige außenpolitische Entwicklungen, die den kooperierenden Mittelstand verunsichert haben – wie etwa die Spannungen mit Russland und der Ukraine.

SN: Inwiefern beeinträchtigen die Spannungen den kooperierenden Mittelstand?


Veltmann: Die Unternehmen müssen sich auf das Kommende einstellen. Teilweise kann die Politik manche dringenden Reformen nicht auf den Weg bringen, da sie mit den außenpolitischen Konflikten befasst ist. Unter den Wirtschaftssanktionen gegen Russland leiden außerdem die Märkte. So geraten etwa Preise unter Druck, da Exporte und Importe nicht so durchgeführt werden können, wie geplant. Der Mittelstand hat natürlich Verständnis, dass die Politik eine klare Botschaft in Richtung Russland senden muss. Dennoch muss sie überlegen, wo denn die Reise letztlich hingehen wird.

SN: Rechnen Sie damit, dass sich die gute konjunkturelle Entwicklung in 2015 fortsetzen wird?


Veltmann: Die Konjunktur hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab. Erstens die Außenwirtschaft. Wenn wir uns in der Welt umschauen, geben die Exportzahlen trotz Schwierigkeiten in einigen unserer europäischen Nachbarländer sowie in Schwellenländern und in den USA keinen Anlass zu großer Sorge. Der zweite Faktor ist die Binnenkonjunktur. Aufgrund der stabilen Beschäftigungslage glaube ich nicht, dass die Kauflust der Verbraucher einbrechen wird. Im Gegenteil könnten die historisch niedrigen Arbeitslosenzahlen eher als Zeichen von Stabilität gewertet werden.

Der dritte Faktor - die Finanzwirtschaft - gibt dem Optimismus allerdings einen Dämpfer. Denn die dauerhaft niedrigen Zinsen führen zu einer schwer interpretierbaren und damit besorgniserregenden Situation. Man könnte annehmen, dass die aktuelle Lage zu Investitionen anregt. Grundsätzlich ist das auch richtig. Allerdings besteht die Gefahr, dass Investitionen nur deshalb getätigt werden, weil aktuell praktisch keine attraktiven Anlagemöglichkeiten für Kapitalvermögen bestehen. Ob das die Wettbewerbsposition des betreffenden Unternehmens in jedem Falle stärkt, bleibt zweifelhaft. Ähnliches Verhalten sehen wir ja auch im privaten Bereich. Statt ihr Geld bei den Banken anzulegen und dadurch wieder in Wirtschaftskreisläufe zu bringen, ist eine verstärkte "Flucht" in den Immobilienerwerb zu beobachten mit der Folge, dass die Preise für Wohnraum explodieren, gerade in Metropolen wie Berlin, Hamburg, Köln oder München.Dass aber der Staat hierauf mit der Mietpreisbremse reagiert hat, war grottenfalsch, denn sie behindert den Immobilienzuwachs, weil er Investoren abschreckt.

SN: Insgesamt sind Sie also für 2015 verhalten optimistisch?


Veltmann: Ja, ich bin schon optimistisch. Denn die Voraussetzungen sind gut. Aber ich denke, wir müssen wachsam sein - also die weitere Entwicklung beobachten und die Politik immer wieder in die Pflicht nehmen. Hier ist natürlich auch DER MITTELSTANDSVERBUND gefragt. Denn bei uns laufen die Erkenntnisse zusammen. Es ist unsere Aufgabe diese zu interpretieren, Schwierigkeiten an die Politik zu kommunizieren und Lösungen für die Herausforderungen aufzuzeigen. Dafür sind wir mit unseren Büros in Brüssel, Berlin und Köln bestens aufgestellt.

SN: Sie haben sich in diesem Jahr vertieft mit der Stärkung des lokalen Handels und Handwerks beschäftigt. Wird dies auch in 2015 eines der Schwerpunktthemen des MITTELSTANDSVERBUNDES bleiben?

Veltmann: Wir haben uns dazu ja gerade erst warm gelaufen. Die Stärkung des lokalen Handels und Handwerks wird das Thema des Jahres 2015, vielleicht sogar auch der folgenden sein. Wir werden sehen, wie weit wir im nächsten Jahr kommen werden.

SN: Die Prognosen für den stationären wie auch den Online-Handel widersprechen sich fast täglich. Vom Untergang der lokalen Geschäfte bis zu rückläufigen Umsätzen im Online-Handel ist alles dabei. Wie will die Gemeinschaftsinitiative BUY LOCAL die verunsicherten Betriebe stärken?

Veltmann: Unabhängig von den Statistiken über die Online-Märkte steht eines fest: die Digitalisierung wird voranschreiten. Und dieser neuen Wettbewerbssituation müssen wir uns jetzt stellen. Wir müssen uns fragen, ob die Wirtschaftsstruktur unserer Gesellschaft selbst einen Wert hat oder "nur" Mittel zum Zweck - also etwa zur Warenversorgung - ist. Wir sind überzeugt, dass stationäre Betriebe einen eigenen Wert haben. Denn sie sorgen für den Erlebnisfaktor vor Ort. Sie sind Anlaufpunkt, prägen das Stadtbild, sorgen für Kommunikation und menschliche Begegnungen sowie für Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten vor Ort. Deswegen setzt sich DER MITTESTANDSVERBUND für den Erhalt und die Stärkung dieser Unternehmen ein.

Und wie kann das erreicht werden? Nur durch den bewährten Schulterschluss zwischen Mittelständlern. Und wer könnte das besser als die Verbundgruppen? Schließlich haben sie sich in der Vergangenheit genau zu diesem Zweck – der Stärkung der Wettbewerbsposition der einzelnen Unternehmen - zusammengeschlossen. Das Prinzip "Was einer nicht schafft, das schaffen viele" ist auch heute noch die Philosophie der Kooperationen, auch wenn sie nicht als Genossenschaft organisiert sind. Und wie erfolgreich die überbetriebliche Zusammenarbeit ist, zeigen die Verbundgruppen jedes Jahr aufs Neue.

Die Gemeinschaftsinitiative BUY LOCAL ist auch so ein starkes Netzwerk, das mittelständische Betriebe unter seinem Dach vereint, um die Nachteile der einzelnen auszugleichen. Wenn dieses Netzwerk nun branchenübergreifend und bundesweit auf die beschriebenen Mehrwerte des stationären Handels und Handwerks aufmerksam macht, können wir wirklich etwas bewegen. Das ist eine große Chance. Gemeinsam mit unseren 320 Verbundgruppen können wir eine Vielzahl von Unternehmen erreichen. Dazu müssen aber auch möglichst alle mitmachen. Denn die Botschaft gilt schließlich für alle: "Leute, kauft lokal".

SN: Die Bundesregierung ist jetzt fast ein Jahr im Amt. Welches Zeugnis stellen sie ihr aus?

Veltmann:
Eine drei Plus.

SN: Das ist ja gar nicht so schlecht. Immerhin befriedigend…

Veltmann: Zunächst hat die Bundesregierung einen Koalitionsvertrag erarbeitet, der ambitioniert ist und den sie nun konsequent abarbeitet. Leider hat sie an den Anfang dieses Prozesses all die Gesetze gestellt, die den Interessen der Wirtschaft entgegen stehen - wie die Rente mit 63, den gesetzlichen Mindestlohn oder die Frauenquote. Jetzt kommt noch die Maut hinzu. Es stehen aber auch Vorhaben im Koalitionsvertrag, die der Wirtschaft nützen, wie die drängende Reform des Insolvenzanfechtungsrechts. Wenn diese im kommenden Jahr nun genau so zügig umgesetzt werden, bleibe ich bei der Note befriedigend. Ich setze also auf das Versprechen der Politik. Sie hat bewiesen, dass sie handlungsfähig ist. Dennoch werden wir die Umsetzung natürlich weiter aktiv einfordern. Die Ergebnisse sind noch nicht da, aber wollen wir einmal optimistisch bleiben.

SN: Bald ist Weihnachten und damit die Zeit der Wunschzettel. Wenn Sie fünf Wünsche an die Politik richten könnten, welche wären das?

Veltmann: Mit Blick auf die Digitalisierung muss unbedingt das Wettbewerbsrecht entstaubt und modernisiert werden. Denn es stammt aus einer Zeit, in der es das Internet noch nicht gab. Dass Verbundgruppen im Online-Handel eklatant benachteiligt sind, weil sie keine einheitlichen Preise kommunizieren können, muss dringend geändert werden. Denn Unternehmen können sich nicht nur auf ihr stationäres Geschäft beschränken. Wegen der modernen Technologie müssen sie auch im Internet präsent sein - im Idealfall mit einem innovativen Multichannel-Konzept.

Mein zweiter Wunsch ist, dass wir als Mittelstandsorganisation in politische Debatten noch stärker eingebunden werden. Das gilt aktuell besonders in der Energiepolitik. Obwohl wir beispielsweise mit unserem Projekt "Mittelstand für Energieeffizienz" bereits über 1.000 Unternehmen beim Energiesparen beraten konnten und über viel Erfahrung verfügen, werden wir bei einigen internen Zirkeln zum Thema Energieeffizienz nicht berücksichtigt.

Drittens wünsche ich mir, dass wir neuen Schwung in das Thema Fachkräfteentwicklung bekommen. Wir bemühen uns seit vielen Jahren, für unsere Mitglieder passende Qualifizierungsangebote zu entwickeln. Wir brauchen dazu aber auch Input aus Wissenschaft und Forschung, doch nur wenige Lehrstühle an Universitäten und Hochschulen befassen sich mit den Bedürfnissen und künftigen Herausforderungen der kooperierenden mittelständischen Wirtschaft. Das sollte die Politik stärker wahrnehmen und bei der Entwicklung von Angebotengerade auch in den Regionen mitwirken.

In diesem Zusammenhang spielt die Infrastruktur eine wichtige Rolle, und hier wäre dann mein vierter Wunsch angesiedelt. Mehr als 85 Prozent unserer Mitgliedskooperationen und deren Anschlusshäuser sind in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern angesiedelt. Leider erleben wir häufig, dass Zufahrts- und Transportwege in diesen Regionen in einem katastrophalen Zustand sind. Hinzu kommt, dass sich Unternehmen dort häufig auch schwer an digitale Netze anbinden lassen. Damit diese Regionen nicht zu ‚Tälern von Ahnungslosen‘ veröden, muss hier dringend etwas passieren. Die Digitale Agenda der Bundesregierung muss als einen zentralen Punkt die Fläche und den dezentral angesiedelten Mittelstand im Auge haben.

Mein fünfter Wunsch ist, dass die Bedeutung der mittelständischen Unternehmer durch die Politik mehr gewürdigt und kommuniziert wird, und dass sie nicht ständig mit neuen bürokratischen Regelungen und Abgaben- und Umlagenlasten für lokale Handels- und Handwerksunternehmen um die Ecke kommt. Schließlich sind diese Unternehmen doch diejenigen, die in Deutschland sprichwörtlich den Karren ziehen. Sie leisten jetzt schon den größten Beitrag zur Refinanzierung des Gemeinwohls, während es einige Großkonzerne wunderbar verstehen, ihrer Steuerpflicht zu entgehen. Solche Steuerschlupflöcher erzeugen unfairen Wettbewerb, der den lokalen Mittelstand ins Mark trifft.Mittelständische Unternehmen wollen keine Privilegien, aber die massiven Benachteiligungen müssen schnellstens ein Ende haben!

SN: Vielen Dank für das Gespräch!

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