Verordnung über das Verbot von Zwangsarbeit beschlossen

Am 23. April hat das Europäische Parlament die Verordnung zum Verbot von Zwangsarbeit angenommen. Welchen Inhalt das Gesetz bereithält, welche Konsequenzen das für den Mittelstand hat und welche Chance die Europäischen Gesetzgeber ungenutzt lassen, erklärt für Sie DER MITTELSTANDSVERBUND.

Brüssel, 23.05.2024 – In sprichwörtlich letzter Sekunde hat das Europäische Parlament Ende April das Gesetz über das Verbot von Zwangsarbeit gebilligt, nachdem es zuvor im Trilogverfahren von der Kommission und dem Europäischen Rat zur Abstimmung freigegeben wurde. Die Verordnung steht im Kontext einer breiteren europäischen Strategie, um eine größere ökologische und soziale Resilienz entlang der Wertschöpfungskette aufzubauen – hierzu gehören zusätzlich etwa die Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) sowie die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). 

Risikobasierter Ansatz und geteilte Zuständigkeiten

Die Verordnung zielt grundsätzlich darauf ab, Produkte, die an irgendeiner Stelle der Lieferkette mit Hilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden, vom Binnenmarkt auszuschließen – sowohl für den Import als auch für den Export. Hierfür werden in den Mitgliedstaaten bis 2027 Behörden eingerichtet, welche bei hinreichendem Verdacht auf Zwangsarbeit bei der Herstellung von Produkten tätig werden sollen. Besteht ein Verdacht des Verstoßes gegen die Maßgabe der Verordnung auf einem Staatsgebiet außerhalb der Union, wird die Kommission zudem selbst als zuständige Behörde aktiv. Dabei greift der in der EU-Gesetzgebung inzwischen erprobte „risikobasierte Ansatz“. Dieser bewertet die mutmaßlichen Verstöße im Rahmen folgender, vorab festgelegter Kriterien:

  • Das Ausmaß und die Schwere der vermuteten Zwangsarbeit sowie die Frage, ob die Zwangsarbeit staatlich organisiert sein könnte;
  • Die Menge der Produkte, die im Binnenmarkt in Verkehr gebracht wurden;
  • Der Anteil der Teile im Endprodukt, die vermeintlich in Zwangsarbeit hergestellt wurden

Zentral für die Verordnung ist zudem die Einrichtung des sogenannten „Forced Labour Single Portal“. Diese frei zugängliche Website soll alle Kontakte der nationalen Anlaufstellen bündeln und auch Whistleblowern ein Format bieten, um anonym Verdachtsfälle von Zwangsarbeit einspeisen zu können. Zudem beinhaltet die Plattform eine Datenbank, auf der Nichtregierungs-Organisationen entsprechende Informationen aggregieren können, um bestimmte geografische Risikoreiche und -sektoren auszumachen.

Verfahren bei Verdacht von Zwangsarbeit

Die Verordnung sieht im Wesentlichen drei Schritte vor, sollte aufgrund der Datenlage bzw. Whistleblower-Informationen ein Verdacht der Zwangsarbeit bestehen:

  1. Vorläufige Untersuchungsphase: Hier haben Unternehmen 30 Tage Zeit, um darzustellen, welche Maßnahmen sie zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht unternommen haben, um das Risiko von Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette zu minimieren.
  2. Untersuchungsphase: Sollte sich der Verdacht der Zwangsarbeit erhärten, leitet die zuständige Behörde (u.U. die Kommission selbst) eine Untersuchung ein, um festzustellen, ob Produkte oder Teile von Produkten mithilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden.
  3. Entscheidung: Sollte die Behörde bzw. Kommission zum Schluss kommen, dass in der Entstehung des bzw. der Produkte Zwangsarbeit eingesetzt wurde, so wird der Wirtschaftsteilnehmer aufgefordert, diese umgehend vorübergehend aus dem Verkehr zu nehmen. Nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gilt dies im Falle einer nationalen Behörde im Übrigen auch in allen anderen EU-Mitgliedstaaten.
  4. Durchsetzung: Falls der Wirtschaftsteilnehmer der Entscheidung nicht nachkommt, ist die Behörde selbst für die Entfernung der Waren aus dem Verkehr zuständig; es drohen überdies empfindliche Strafen.

Trotz Verbesserungen weiterhin eine vertane Chance

Zunächst ist positiv hervorzuheben, dass einzelne Kritikpunkte des MITTELSTANDSVERBUNDES am ersten Gesetzesvorschlag der Kommission zum Verbot von Zwangsarbeit Gehör gefunden haben. So ist etwa zu begrüßen, dass die Beweislastumkehr keinen Platz in der finalen Fassung gefunden hat. Diese hätte bedeutet, dass betroffene Unternehmen im Falle eines behördlichen Verdachts von staatlich organisierter Zwangsarbeit Beweise für das Gegenteil erbringen müssten. Auch wurden Wiedergutmachungsmaßnahmen aus dem finalen Text entfernt – dieser sieht nunmehr lediglich vor, die Ware im Falle eines Nachweises der Zwangsarbeit aus dem Verkehr zu nehmen. Zudem ist ersichtlich, dass die Gesetzgeber die Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) geringhalten wollen – hierbei spielt vor allem das oben genannte Portal eine entscheidende Rolle, über das die Kommission in Zukunft Leitlinien kommunizieren will, welche die Einhaltung der Verordnung sowie den Umgang mit Behörden erleichtern sollen.

Trotz allem können die Kosten für die Compliance gerade für kleinere Unternehmen, die je nach Größe selten auf ihre Zuliefererkette Einfluss nehmen können, hoch sein. Auch wenn sowohl die EU-Lieferkettenrichtlinie als auch die Verordnung über Zwangsarbeit dieselbe Zielrichtung haben, unterscheiden sich Compliance-Prozess und Nachweispflichten. Ohnehin muss die Frage erlaubt sein, warum die europäischen Gesetzgeber mit den nationalen und supranationalen Lieferkettengesetzen, der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie sowie der nun vom Parlament verabschiedeten Zwangsarbeitsverordnung die Chance zur Harmonisierung der Sorgfalts- und Berichtspflichten ungenutzt lässt. Es bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber in der nationalen Umsetzung für entsprechende Erleichterungen für die betroffenen Unternehmen sorgen wird.

Die Unternehmen sind nun in Zukunft dazu angehalten, spezifische Informationen zu ihren Wertschöpfungsketten für den Fall einer Untersuchung bereitzuhalten. Im Hinblick auf die Sorgfaltspflicht empfiehlt es sich zudem, künftig die von der Kommission oder von Menschenrechtsorganisationen auf der Zwangsarbeitsplattform veröffentlichten Informationen regelmäßig einzusehen. Auch DER MITTELSTANDSVERBUND bleibt in dieser Hinsicht aktiv und wird Sie bei Bedarf informieren.

Seite drucken

Ansprechpartner

Tim GeierDER MITTELSTANDSVERBUND
Tim Geier Geschäftsführer Büro Brüssel Mehr Infos
DER MITTELSTANDSVERBUND
E-Mail schreiben
Zurück zur Übersicht