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Koalitionsvertrag-Check: Arbeitsrecht und Tarifpolitik

Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP spricht zu den Themen Arbeitsrecht und Tarifpolitik einige für mittelständische Unternehmen relevante Punkte an. Einerseits hinkt ein Teil der Vorschläge der Realität und auch den Erfordernissen der Praxis hinterher, andererseits sind einige Befürchtungen der Wirtschaft nicht im Vertragstext zu finden. Licht und Schatten dieses Themenfeldes werden ausführlich hier beleuchtet.

Berlin, 14.12.2021 – In unserer mehrteiligen Beitragsreihe zum gemeinsamen Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bewerten wir die verschiedenen Vorhaben von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nach den Themenschwerpunkten, die besondere Relevanz für die mittelständischen Unternehmen haben. Damit möchten wir Ihnen einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick zur politischen Agenda der neuen Ampel-Koalition sowie deren Auswirkungen auf den kooperierenden Mittelstand bieten.

Die wesentlichen Vorhaben der zukünftigen Koalition im Themenfeld Arbeitsrecht und Tarifpolitik stellen sich im Detail wie folgt dar:

Arbeitszeitgesetz

Die Ampelkoalition will am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im ArbZG festhalten. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel will sie ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Beschäftigte ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem soll eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit geschaffen werden, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume). (S. 68)

Einen mutigen großen Schritt zu einem Arbeitszeitrecht mit generellen Wochenhöchstarbeitszeiten und weitgehend gestaltbaren Ruhezeiten lässt der Koalitionsvertrag leider vermissen. Die vorgesehenen Experimentierklauseln sollten allen und nicht nur den tarifgebundenen Betrieben offenstehen. Die Ampelkoalition vergibt hier die Chance, das Arbeitszeitrecht an die Erfordernisse der Realität anzupassen.

Mobiles Arbeiten und Homeoffice

Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten sollen nach dem Willen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice erhalten. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Homeoffice als Form der Mobilen Arbeit soll von der Telearbeit abgegrenzt werden und grenzüberschreitende Mobile Arbeit soll erleichtert werden. (S. 69) Die Koalitonäre nehmen sich zudem vor, die steuerlichen Regelungen des Homeoffice für Arbeitnehmer bis zum 31.12.2022 zu verlängern und zu evaluieren.

Angesichts der bereits sehr weiten Verbreitung der mobilen Arbeit ist aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES ein Erörterungsanspruch nicht erforderlich. Eine klare Abgrenzung von Homeoffice als Form der mobilen Arbeit von der Telearbeit ist richtig. Zu begrüßen ist der beabsichtigte Abbau von Hürden bei grenzüberschreitender mobiler Arbeit in der EU, z. B. im Sozialversicherungs- und Steuerrecht.

Begrenzung der Dauer von Sachgrundbefristungen

Um Kettenbefristungen zu vermeiden, wollen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Dauer der Sachgrundbefristung beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzen. Nur in eng begrenzten Ausnahmen soll ein Überschreiten dieser Höchstdauer möglich sein. (S. 70)

Es ist positiv, dass die kalendermäßige (d.h. sachgrundlose) Befristung von Arbeitsverhältnissen nicht weiter in Frage gestellt wird. Die Begrenzung von Sachgrundbefristungen hingegen auf im Regelfall höchstens sechs Jahre ist allerdings überflüssig. Sogenannte Kettenbefristungen spielen in der Privatwirtschaft keine Rolle.

Überarbeitung der Brückenteilzeit

Damit die Brückenteilzeit künftig von mehr Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann, soll die sog. „Überforderungsklausel“ entsprechend überarbeitet und gleichzeitig für Unternehmen übersichtlicher gestaltet werden. Ziel ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. (S. 115)

Schon heute führen die zahlreichen Teilzeitansprüche zu einer erheblichen Belastung der Praxis. Weitere Ansprüche bedeuten gerade für KMU eine Überforderung.

Zeitarbeit und Werkverträge

Die Koalition will im AÜG prüfen, ob im Falle einer europäischen Rechtsprechung(sänderung) gesetzlichen Änderungen notwendig sind. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind aus Sicht der Koalitionsparteien notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Verstöße gegen das Arbeitsrecht und Arbeitsschutz sollen verhindert werden. (S. 70 u. 71)

Es ist zu begrüßen, dass die Koalitionsparteien Werkverträgen und Zeitarbeit als notwendige Flexibilitätsinstrumente anerkennen und sie nicht durch zusätzliche Regulierung einschränken wollen. Sie werden in den kommenden Jahren durch die Digitalisierung noch wichtiger werden. Beschäftigte in diesen Vertragsformen werden schon heute nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen behandelt.

Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf 12 Euro erhöhen. Im Anschluss daran werde die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden. (S. 69)

Die geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ist aus Sicht DES MITTELSTANDSVERBUNDES ein tiefer Einschnitt in die Tarifautonomie. Sie wird eine deutlich höhere Anzahl an Tarifverträgen und Lohngruppen betreffen als bei seiner Einführung. Damals bestand Einigkeit, dass man keinen politisch festgesetzten Mindestlohn wollte – nun ist zu befürchten, dass jeder künftige Wahlkampf dieses Thema besetzen wird.

Entgelttransparenz, Frauen in Führungspositionen und Diskriminierungsschutz

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern soll ermöglicht werden, ihre individuellen Rechte durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft geltend machen zu lassen. (S. 115 u. 121)

Die Grundlage der Berichterstattung der jährlichen Informationen der Bundesregierung über die Entwicklung des Frauen- und Männeranteils an Führungsebenen und in Gremien der Privatwirtschaft und des Öffentlichen Dienstes soll erweitert und bei Bedarf gesetzlich nachgeschärft werden. (S. 115)

Zudem sollen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) evaluiert, Schutzlücken geschlossen, der Rechtsschutz verbessert und der Anwendungsbereich ausgeweitet werden. (S. 120, 121)

Aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES kann eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt sowie mehr Entgelt für Frauen vor allem mit einem bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung, einer klischeefreien Berufsorientierung und anderen Anreizen bei familienpolitischen Leistungen erreicht werden. Die Einführung einer „Prozessstandschaft für Verbände“ hingegen kann eine missbräuchliche Ausnutzung von Klagemöglichkeiten fördern.

Hinsichtlich des gerade erst novellierten Gesetzes zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an Führungspositionen gilt es, zunächst die Umsetzungsauswirkungen zu beobachten, statt über Nachschärfungen nachzudenken.

Die Forderung nach einem verbesserten Rechtsschutz im Rahmen des AGG dürfte auf die Verlängerung von Klagefristen sowie die Einführung eines Verbandsklagerechts abzielen. Beide Forderungen sind daher zielführend. Verlängerte Klagefristen führen zu Rechtsunsicherheit und belasten die Arbeitsbeziehung. Ein Verbandsklagerecht ist mit dem deutschen Recht grundsätzlich inkompatibel. Es widerspricht dem Konzept der Klagebefugnis, das die Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten voraussetzt.

Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz schaffen, um Rechtsklarheit für Arbeitgeber sowie Beschäftigte zu erreichen und die Persönlichkeitsrechte effektiv zu schützen. (S. 17)

Die Umsetzung der datenschutzrechtlichen Regelungen stellen Arbeitgeber noch immer vor Herausforderungen. Erforderlich sind entwicklungsoffenere Regelungen, die Datenschutz in Einklang mit dem Fortschritt der Arbeitswelt bringen. Gleichzeitig dürfen gewachsene Strukturen in den Unternehmen nicht konterkariert werden. Es müssen bürokratische Hürden abgebaut werden und die Einwilligung und Betriebsvereinbarung als eigenständige Rechtsgrundlage beibehalten und gestärkt werden.

Hinweisgeberschutz

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel umsetzen und Hinweisgeber nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU- Recht vor rechtlichen Nachteilen schützen, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger soll verbessert und dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote geprüft werden. (S. 111)

Es liegt im Interesse der Unternehmen, Missstände frühzeitig aufzudecken und abzustellen. Daher bestehen in den Unternehmen vielfache Möglichkeiten zur innerbetrieblichen Meldung von Missständen. Es muss möglich bleiben, Beschäftigte dazu anzuhalten, Missstände zuerst intern zu melden. Nimmt ein Beschäftigter in zulässiger Weise seine Rechte wahr, darf er dafür bereits heute nicht gemaßregelt werden.

Betriebliche Mitbestimmung, Online-Wahlen u. digitale Zugangsrechte der Gewerkschaften

Die Mitbestimmung soll nach dem Willen der Ampelkoalition weiterentwickelt werden. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten. Man will Online- Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt erproben. Es soll ein Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht, geschaffen werden. (S. 71)

Ein Entscheidungsrecht der Betriebsräte, ob sie analog oder digital arbeiten, ist ein Beitrag, um die Arbeitsweise des Betriebsrats zu modernisieren und zu flexibilisieren. Für die Umsetzung dieses Rechts muss der heute im BetrVG vorgesehene Vorrang der Präsenzsitzungen für Betriebsratssitzungen gestrichen werden. Die Erprobung von Online- Wahlen in einem Pilotprojekt ist ein wichtiger Schritt für eine Digitalisierung der Betriebsratsarbeit, der zeitnah erfolgen sollte damit Online- Wahlen möglichst schnell auch flächendeckend umgesetzt werden können.

Ein Zugangsrecht der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften besteht nach dem Betriebsverfassungsgesetz längst. Regelungen hierzu sollten sich daher im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung halten und den Datenschutz der Arbeitnehmer akzeptieren.

Elterngeld und Elternzeit

Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld sollen nach dem Willen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP um einen Monat erweitert werden, entsprechend auch für Alleinerziehende. Der elternzeitbedingte Kündigungsschutz soll um drei Monate nach Rückkehr in den Beruf verlängert werden, um den Wiedereinstieg abzusichern. (S. 101)

Das BEEG ist erst kürzlich flexibilisiert worden. Es sollten zunächst die Wirkungen dieser Änderungen abgewartet werden, bevor noch weitergehende Regelungen getroffen werden. Die vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit stellt für Betriebe bereits jetzt eine erhebliche Belastung dar, da für die relativ kurzen Fehlzeiten der Beschäftigten nur schwer Ersatz beschafft werden kann. Ein verlängerter Kündigungsschutz darf nicht in die Personalplanung der Unternehmen eingreifen oder zu einer über die bisher geltende Rechtslage hinausgehenden verpflichtenden Umsetzung von Teilzeit führen, die betrieblich nicht wirtschaftlich sinnvoll ist.

Weiterentwicklung der Pflege- und Familienpflegezeit

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollen die Pflege- und Familienpflegezeit weiterentwickeln und den pflegenden Angehörigen und Nahestehenden mehr Zeitsouveränität, auch durch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten, ermöglichen. (S. 81)

Eine Lohnersatzleistung statt Darlehen darf allenfalls steuerfinanziert eingeführt werden. Sie kann zu mehr Freistellungsanträgen in den Betrieben führen, die bereits jetzt unter dem Fachkräftemangel leiden. Eine Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Nahestehende bedeutet mehr Freistellungen und Ungewissheit für die Unternehmen. Mit solchen Änderungen werden einvernehmliche und tragfähige Lösungen auf betrieblicher Ebene konterkariert. Wichtiger wäre eine Rechtsvereinheitlichung durch eine Zusammenfassung beider Gesetze und die Stärkung von Vereinbarungen vor Ort.

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Judith Röder | Geschäftsführerin | DER MITTELSTANDSVERBUND
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