Wahlprogramm-Check: Arbeitsrecht und Arbeitsmarktpolitik
Größte praktische Bedeutung für alle Unternehmen hat die Regulierung der Arbeitswelt. Die Parteien haben hierauf einen sehr unterschiedlichen Blick - DER MITTELSTANDSVERBUND stellt die maßgeblichen Pläne aus den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 vor.
In unserer mehrwöchigen Beitragsreihe zur Bundestagswahl 2021 vergleichen und bewerten wir die Wahlprogramme der Parteien nach Themenschwerpunkten mit besonderer Relevanz für die mittelständischen Unternehmen. Dabei betrachten wir lediglich die Parteien, die nach gegenwärtigem Ermessen eine realistische Chance haben, an der kommenden Bundesregierung beteiligt zu sein. Damit möchten wir Ihnen einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick zu den verschiedenen Wahlprogrammen und den dahinterstehenden Vorhaben der Parteien bieten.
Berlin, 30.07.2021 – Im Themenfeld Arbeitsrecht und Arbeitsmarktpolitik unterscheiden sich die Parteien in Ihren Plänen erkennbar. Sie setzen sehr unterschiedliche Schwerpunkte und sie kündigen eine sehr unterschiedliche Regulierungsdichte an. Aus Sicht des Mittelstandes bleibt zu hoffen, dass das Durchsetzungsvermögen der künftigen Koalitionspartner sich nicht an der Zahl der Regulierungswünsche in diesem Bereich bemisst. Erforderlich ist stattdessen größtmögliche Gestaltungsfreiheit in einem sich schnell verändernden Umfeld.
CDU/CSU
Um die Sozialpartnerschaft zu stärken, soll den Tarifpartnern ein möglichst großer Gestaltungsspielraum gegeben werden, jedoch behält man sich auch ein Eingreifen vor. Zur Erhöhung der Tarifbindung soll die Allgemeinverbindlichkeitserklärung gestärkt werden. Für die betriebliche Mitbestimmung werden Online-Betriebsratswahlen vorgeschlagen.
CDU und CSU erkennen die Vielfalt des deutschen Arbeitsmarktes als Stärke an. Für Werk- und Dienstverträge ist keine Regulierung, für den Fall von Missbrauch jedoch eine verstärkte Kontrolle geplant. Auch für die Zeitarbeit ist keine weitere Regulierung geplant. Befristete Arbeitsverhältnisse sollen die Ausnahme sein – auch hier wird ein Missbrauch abgelehnt. Die Minijobgrenze soll von 450 Euro auf 550 Euro pro Monat erhöht und dies regelmäßig überprüft werden.
Die Unionsparteien sehen, dass die Digitalisierung neue Anforderungen an die Arbeitswelt stellt. Sie wollen deshalb das Arbeitszeitgesetz reformieren und – für nicht gefahrgeneigte Berufe – anstelle der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festsetzen.
Um die Chancengleichheit von Frauen und Männern in Führungspositionen zu verbessern, wollen sich die Unionsparteien für mehr Familienfreundlichkeit auch in diesen Tätigkeiten einsetzen. Geschlechterspezifische Lohn- und Rentenlücken sollen beseitigt werden. Das Entgelttransparenzgesetz soll evaluiert und ggf. nachgebessert werden.
CDU und CSU wollen die berufliche Weiterbildung stärken und dazu das Bundesprogramm „Bildungsprämie“ ausbauen, Unternehmen und Beschäftigte passgenau beraten sowie eine vorausschauende Forschung zur Kompetenzentwicklung fördern.
SPD
Die SPD will den Weg zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen vereinfachen. Tarifverträge sollen zudem weiter gelten, wenn Betriebe aufgespalten und ausgelagert werden. Der Praxis der OT-Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden wird der Kampf angesagt. Die Vergabe öffentlicher Aufträge will die Partei an die Tarifbindung knüpfen.
Der gesetzliche Mindestlohn soll zunächst auf mindestens zwölf Euro erhöht werden. Im Befristungsrecht ist geplant, die sachgrundlose Befristung zu streichen und die möglichen Sachgründe für eine Befristung kritisch überprüfen. Der Anspruch auf Brückenteilzeit soll ausgeweitet werden. In der Zeitarbeit soll equal pay vom ersten Tag an gelten. Für Minijobs soll ihr besonderer Status in der Sozialversicherung – mit Ausnahme bestimmter Gruppen, z.B. Rentner – entfallen. Stattdessen ist geplant, die Gleitzone der Midi-Jobs auf 1.600 Euro anzuheben.
Die Sozialdemokraten wollen mehr Unternehmensmitbestimmung und dazu die Schwellenwerte absenken sowie auch ausländische Rechtsformen einbeziehen. In den Aufsichtsräten soll es eine „echte Parität“ geben. Mitbestimmungsrechte sollen u.a. bei Betriebsänderungen, beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen, beim Einsatz neuer Technologien und der Personalbemessung ausgeweitet werden. Betriebsräte sollen auch mehr Schutz erhalten. Bei vermehrt ortsunabhängiger Arbeit sollen Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht zum „virtuellen“ Betrieb erhalten. Zudem sind ein Verbandsklagerecht der Gewerkschaften und ein Beschäftigtendatenschutzgesetz geplant.
Ein weiteres Wahlversprechen ist der Rechtsanspruch auf mobile Arbeit für mind. 24 Tage im Jahr. Als Flankierung sind u.a. eine vollständige Arbeitszeiterfassung, ein Recht auf Nichterreichbarkeitszeiten und auf technische Ausstattung angedacht. Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit hingegen wird ausgeschlossen.
Eine Ausbildungsgarantie soll dort, wo unterhalb des Bedarfs ausgebildet wird, durch eine außerschulische Ausbildung – finanziert durch Umlagen der Unternehmen – gegeben werden. Im weiteren Berufsleben soll die Bundesagentur für Arbeit als „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ den Menschen individuelle Beratung bieten. Ein Recht auf Weiterbildung und beruflichen Neustart soll auch Menschen jenseits der 40 Jahre eine neue Ausbildung ermöglichen. Geförderte Bildungszeit und Bildungsteilzeit sind geplant. Diese individuellen Maßnahmen werden ergänzt durch ein Transformations-Kurzarbeitergeld, wo betriebliche Umstrukturierungen unvermeidlich sind. Langzeitkonten sollen zu persönlichen Zeitkonten weiterentwickelt werden, um zusätzlich individuelle Gestaltungsmöglichkeiten entlang des Lebenslaufs zu schaffen.
FDP
Mit Blick auf die moderne Arbeitswelt verspricht die FDP ein Mehr an individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Sie fordert mehr Flexibilität im Arbeitszeitgesetz, d.h. eine wöchentliche anstelle einer täglichen Höchstarbeitszeit und eine freiere Einteilung der Arbeitszeit. Bei mobiler Arbeit und im Homeoffice soll das Arbeitsschutzgesetz und nicht die Arbeitsstättenverordnung gelten. Nach niederländischem Vorbild soll der Arbeitgeber den Antrag von Beschäftigten auf mobiles Arbeiten und Homeoffice prüfen und erörtern.
Mehr Diversität in Unternehmen – sowie im öffentlichen Dienst – soll durch höhere Transparenz interner Maßnahmen erreicht werden. Statt starrer Quoten sind Selbstverpflichtungen für größere Unternehmen angedacht mit dem Ziel, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen steigt. Analog zum Mutterschutz soll ein „Partnerschutz“ nach der Geburt eines Kindes einen Freistellungsanspruch für zehn Arbeitstage geben. Zudem wird eine begrenzte Auszeit für Mitglieder in Vorständen, Aufsichtsräten und andere oberste Führungskräfte versprochen, die den bisherigen faktischen Zwang zur Mandatsniederlegung beenden soll. Größere Unternehmen sollen ihren unternehmensinternen Gender-Pay-Gap auswerten und veröffentlichen. Ein ganzheitliches Diversity Management wird als Teil der ökonomischen Modernisierung und als Alternative zu Quoten gesehen - gerade der Mittelstand soll dabei unterstützt werden.
Die FDP will die Minijob- und Midijob-Grenze erhöhen und dynamisch an den gesetzlichen Mindestlohn koppeln. In der Zeitarbeit soll u.a. die Höchstüberlassungsdauer aufgehoben werden.
Um das lebensbegleitende Lernen zu fördern, soll ein „Midlife-BAföG“ von bis zu 1.000 Euro im Jahr eingeführt werden. Ein persönliches „Freiraumkonto“ soll das steuer- und abgabenfreie Ansparen von Zeit für Weiterbildungsangebote und Bildungsauszeiten ermöglichen. Öffentliche und private Bildungsangebote sollen und strukturiert auf einer zentralen digitalen Plattform einsehbar sein. Auch die Hochschulen sollen sich stärker für die akademische Weiterbildung und für Lehrangebote jenseits der Erstausbildung öffnen. Nicht zuletzt will die FDP das berufliche Bildungssystem stärken – dazu will sie Teilqualifizierungen ausbauen, die Ausbildungsdauer flexibilisieren, digitale Ausbildungsangebote fördern und verstärkt Teilzeitausbildungen ermöglichen. Auch soll die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung erhöht werden.
Bündnis 90/Die Grünen
Auch die Grünen wollen die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtern. Neben einer Transparenz über Tarifbindung ist geplant, dass auch bei Umstrukturierungen bestehende Tarifverträge fortgelten. Öffentliche Aufträge sollen nur noch an Unternehmen gehen, die mindestens Tariflöhne zahlen. Für die Mitbestimmung ist u.a. geplant, die Parität bereits ab 1.000 Beschäftigten greifen zu lassen. Betriebsräte und Initiatoren von Betriebsratswahlen sollen besser geschützt werden. Auch mehr Mitbestimmungsrechte sind geplant – u.a. bei Personalentwicklung, Weiterbildung oder Standortverlagerungen.
Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen. In der Zeitarbeit ist neben equal pay vom ersten Tag an eine zusätzliche Flexibilitätsprämie geplant. Das Kurzarbeitergeld soll zu einem Mindestkurzarbeitergeld umgebaut werden. Im Befristungsrecht soll die sachgrundlose Befristung entfallen. Minijobs, mit Ausnahmen für Studierende, Schüler und Rentner sollen entfallen, ebenso die sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung. Geplant ist ein Rückkehrrecht in Vollzeit auch für kleinere Betriebe. Daneben werden ordnungspolitische Maßnahmen gegen Subunternehmerketten und den Missbrauch von Werkverträgen angekündigt.
Die Grünen planen ein Recht auf mobiles Arbeiten. Sie wollen mehr flexible Arbeitszeitmodelle zum Vorteil der Beschäftigten ermöglichen. Änderungen des Arbeitszeitgesetzes werden abgelehnt, jedoch sollen alle Arbeitszeiten künftig dokumentiert und stärker kontrolliert werden.
Die Arbeitslosenversicherung soll zu einer Bildungsagentur werden, die die Menschen bei der Neuorientierung unterstützet. Flankiert wird dies durch einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung.
Eine EU-Richtlinie und ein nationales Gesetz sollen Entgeltgleichheit sicherstellen – auch für kleine Betriebe, u.a. sind Lohncheckverfahren und Berichtspflichten vorgesehen.