EU-Kommission: Team Juncker in den Startlöchern

Nach einem Anhörungs-Marathon wurde die neue EU-Kommission am 22. Oktober vom EU-Parlament bestätigt. Was der Mittelstand von Junckers Team erwarten kann, fasst DER MITTELSTANDSVERBUND zusammen.

Brüssel, 27.10.2014 — Nachdem der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sein Team im September vorgestellt hatte, musste sich jeder einzelne Kommissionsanwärter einer dreistündigen Befragung durch das EU-Parlament stellen. Seit Anfang Oktober machten sich die zuständigen Parlamentsausschüsse ein Bild von der neuen Kommission. Dabei wurden nicht alle Kandidaten mit offenen Armen empfangen.

Besonders kontrovers waren die Diskussionen um den Briten und zukünftigen Kommissar für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, Jonathan Hill. Die liberalen Kräfte im Parlament bezeichneten die Wahl des Briten als "politische Irrfahrt". In der Kritik stand Hill vor allem durch seine Vergangenheit als Lobbyist der Finanzindustrie in der Londoner City.

Ein weiterer Streitpunkt war die Wahl des Franzosen und zukünftigen Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, Pierre Moscovici. Die Parlamentarier kritisierten vor allem, dass Moscovici in seiner Zeit als französischer Finanzminister 2012 – 2014 keinen einzigen Haushalt vorlegen konnte, der den Maastricht-Kriterien entsprochen hätte.

Die Europaparlamentarier sprachen dem Spanier und zukünftigen Kommissar für Klimapolitik und Energie, Miguel Arias Cañete, nicht das volle Vertrauen aus. Diesem wurden Kontakte in der Energiewirtschaft nachgesagt. Angenommen wurde er schließlich trotzdem. Dafür musste Juncker jedoch den Zuständigkeitsbereich des ersten Kommission-Vizepräsidenten, Frans Timmermans (Kommissar für Bessere Rechtssetzung, Interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die EU-Grundrechtecharta), ausweiten und ihm auch horizontal die Verantwortung für nachhaltige Entwicklung übertragen.

In einem Punkt waren sich die Europaparlamentarier weitestgehend einig: Die Besetzung des Postens als Kommissions-Vizepräsidentin und Kommissarin für die Energieunion sollte nicht an die von Slowenien nominierte Alenka Bratusek gehen. Die ehemalige slowenische Vize-Premierministerin war überaus schlecht auf die Fragen der Parlamentarier vorbereitet und konnte auch persönlich in der Anhörung nicht überzeugen. Slowenien nominierte daher Alena Bulc nach. Da diese jedoch keine Erfahrungen im Energiebereich hatte, benannte Juncker sie als Kommissarin für Transport und Weltraum - eine Entscheidung, die sich auszahlte. Das Parlament erklärte sich mit dem personellen Wechsel einverstanden und nahm die Kommission daraufhin an.

Die neue Kommission besteht jedoch nicht nur aus "Wackelkandidaten". Eindrucksvoll bewies die Belgierin, Marianne Thyssen, dass sie dem Amt als Kommissarin für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten, Qualifikationen und Mobilität der Arbeitnehmer gewachsen ist. In ihrer Anhörung sprach sie sich für eine größere Arbeitskräftemobilität aus, die auf einer soliden Ausbildung und arbeitnehmerfreundlichen Rahmenbedingungen fußen sollte.

Auch der zukünftige Kommissions-Vizepräsident und Kommissar für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit, Jykri Katainen, überzeugte in seiner Anhörung. Dieser soll noch in den ersten Monaten der neuen Kommission ein 300 Mrd. Euro schweres Investitionspaket schnüren, um die ins Straucheln geratene europäische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Ein besonderer Fokus müsse zudem auf der Unterstützung von kleinen und mittlerenUnternehmen liegen, die für ihn gleichsam die Lebensadern für die Wirtschaft sind. KMU müsse vor allem durch den Abbau unnötiger Bürokratie geholfen werden - eine Forderung, die DER MITTELSTANDSVERBUND seit langem stellt.

El#380;bieta Bie#324;kowska, Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU machte klar, dass eine neue Unternehmerkultur in Europa entfacht werden müsse, um nachhaltiges Wachstum zu erreichen. Hierzu müsse ein wachstums- und innovationsfreundliches Wirtschaftsklima in Europa geschaffen werden, dass besonderen Fokus auf die Förderung von Unternehmertum und KMU legt. Darüber hinaus versprach sie, dass alle zukünftigen Gesetzesakte auf ihre Mittelstandstauglichkeit hin überprüft werden sollten, um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Auch sie wiederholte damit Forderungen des MITTELSTANDSVERBUNDES.

Günther Oettinger schien seine Enttäuschung über seine Nominierung als Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft überwunden zu haben. Für ihn ist der Internet- und Telekommunikationssektor der zentrale Nerv für die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Mittelstand. Jeder Bürger und jedes Unternehmen müsse daher die Möglichkeit haben, das Internet zu nutzen, mit ihm zu kommunizieren, Prozesse zu steuern und Arbeitsabläufe zu organisieren. Der Ausbau der digitalen Infra- und Energiestruktur solle daher noch vor Straßenbau und Schienenwegebau einen "nennenswerten Teil" des 300-Milliarden-Investitionspakets der neuen EU-Kommission ausmachen. Auch DER MITTELSTANDSVERBUNDhat erklärt: "Die öffentliche Infrastruktur und flächendeckend schnelle Netze entscheiden über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes - regional, national und global." Der Spitzenverband der Mittelstandskooperationen begrüßt daher den Ansatz Oettingers.

Die für den kooperierenden Mittelstand in Zukunft wichtige Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, überzeugte in der Anhörung zwar nicht mit Detailtiefe. Sie machte jedoch deutlich, dass die zukünftige europäische Wettbewerbspolitik für einen besseren Schutz von KMU Sorge tragen müsse, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu erhalten. Zu der für Verbundgruppen besonders wichtigen Thematik der Preisbindung im Online-Handel verwies sie - leider - lediglich auf die bestehenden europäischen Vorschriften. DER MITTELSTANDSVERBUND bleibt dennoch vorsichtig optimistisch hinsichtlich der neuen Wettbewerbskommissarin und wird sich für eine weitere Öffnung der bestehenden Freistellungen für Verbundgruppen einsetzen.

Die neue Kommission hat am 1. November ihre Arbeit aufgenommen. Langweilig dürfte den neuen EU-Topbeamten nicht werden. Zum einem dreht sich das Personalkarussell auf Kommissions-Arbeitsebene derzeit sehr schnell. Durch den neuen Zuschnitt der Generaldirektionen müssen Spitzenposten neu vergeben werden. Zum anderen werden die neuen Kommissare einen reichlich gedeckten Tisch vorfinden. In den vergangenen Monaten haben viele Ressorts Studien und Evaluationen in den verschiedensten Themengebieten durchgeführt, sei es in den Bereichen soziale Verantwortung, europäische Städteagenda oder Bürokratieabbau. Die gefundenen Ergebnisse werden dem Team Juncker in der nächsten Zeit als Leitfaden dienen.

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