Brennpunkt: EU-Sammelklagen – Ein Blick auf die Details
Nachdem die politische Einigung bereits im Juni zwischen den EU-Gesetzgebern erreicht wurde, liegen nunmehr die Einzelheiten des neuen Konzepts einer europäischen Sammelklage vor. Welche Auswirkungen diese gerade in Deutschland haben wird, erklärt DER MITTELSTANDSVERBUND.
Brüssel, 10.07.2020 - Am 26. Juni 2020 brachten die Vertreter des EU-Parlaments, der Europäischen Kommission sowie der Mitgliedstaaten das Marathon-Projekt „EU-Sammelklagen“ zum Abschluss. Das neue Konzept setzt nunmehr den Rechtsrahmen für eine kollektive Geltendmachung von Verbraucherrechtsverstöße.
Bereits im Sommer 2018 hatte der deutsche Gesetzgeber als Reaktion auf den VW-Dieselskandal das Modell der Musterfeststellungsklage eingeführt. Auch wenn der nunmehr erreichte europäische Kompromiss ähnlich anmutet, bestehen doch erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Rechtsmodellen.
Qualifizierte Einrichtungen
Ausgangspunkt beider Rechtsinstrumente ist die Berechtigung sogenannter qualifizierter Einrichtungen, Verstöße gegen das Verbraucherrecht für die betroffenen Verbraucher geltend zu machen.
Bereits hierbei zeigen sich jedoch konzeptionelle Unterschiede: Im Rahmen der Musterfeststellungsklage legt insbesondere die Zivilprozessordnung fest, unter welchen Voraussetzungen Verbände als qualifizierte Einrichtung für die Belange der Verbraucher auftreten können. So müssen die qualifizierten Einrichtungen aus mindestens 10 Verbänden bestehen, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben.
Eine derartige Limitierung der klageberechtigten qualifizierten Einrichtungen ist nach dem europäischen Konzept nicht vorgesehen. Der nunmehr verabschiedete Kompromiss unterscheidet zunächst zwischen rein nationalen Verbraucherrechtsverstößen und solchen, die Verbraucher aus mehreren Mitgliedstaaten betreffen. Einrichtungen müssen bei grenzüberschreitenden Verbraucherrechtsverstößen mindestens 12 Monate im Verbraucherschutz aktiv gewesen sein, finanziell stabil und nicht-wirtschaftlich sein, sprich: gemeinnützig ausgerichtet sein. Hinsichtlich der Voraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen für rein nationale Sachverhalte bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, welche Voraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen aufgestellt werden.
„Das ist schwierig.“ meint Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel, DER MITTELSTANDSVERBUND. „Die Richtlinie über europäische Sammel- oder besser Verbandsklagen klärt nicht abschließend, inwieweit Limitierungen der klageberechtigen qualifizierten Einrichtungen wie nach dem Modell der Musterfeststellungsklage weiterhin aufrechterhalten werden können. Nicht ohne Grund wurden in Deutschland hohe Erfordernisse an qualifizierte Einrichtungen gestellt. Denn nur so lassen sich Missbrauch und Kommerzialisierung dieses Instruments verhindern. Wir hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber in der Umsetzung an diesem Sicherungsmechanismus festhält.“
Wer ist wie dabei?
Bereits seit Beginn des Gesetzgebungsprozesses ist höchstumstritten, wie sich Verbraucher einer Verbandsklage anschließen können. Die Diskussion spaltete sich dabei in zwei Lager: Während die einen ein konsequentes Opt-In-Modell vertraten, bei dem der geschädigte Verbraucher aktiv einer Klage beitreten muss, gab es gerade im Europäischen Parlament viel Zuspruch für ein sogenanntes Opt-Out-Verfahren. In Reinform findet sich dieses Modell im Anglo-Amerikanischen Raum wieder. Geschädigte müssen dabei nicht aktiv einem Prozess beitreten, sondern werden nach Ablauf einer Ausschlussfrist automatisch Teil der Klage.
Letztendlich spiegelt der nunmehr gefundene Kompromiss diese bipolare Verhandlungssituation wider: Es obliegt den Mitgliedstaaten, welches System zur Klagebeteiligung für die europäische Verbandsklage eingeführt werden soll. „Diese Situation ist äußerst unbefriedigend und kontraproduktiv; gerade in grenzüberschreitenden Fällen könnten so – je nach nationaler Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten – Klagen künstlich aufgebläht werden und so den Vergleichsdruck auf die beklagten Unternehmen nicht unwesentlich erhöhen.“ so Geier zu diesem Aspekt der EU-Verbandsklage.
Mehr als nur Feststellung
Trotz der Opposition einiger Mitgliederstaaten – darunter auch die deutsche Bundesregierung – ist die nunmehr verhandelte EU-Verbandsklage weit mehr als ihr deutscher Vorgänger: Mit der Musterfeststellungsklage können beispielsweise schädigende Ereignisse für eine Vielzahl von Verbraucher-(Sammel-)Klägern festgestellt werden. Dies führt zu einer Erleichterung der Beweislage für den einzelnen betroffenen Verbraucher. Klagen muss dieser hingegen selbst auf Schadensersatz.
Mit der zukünftigen EU-Verbandsklage können Verbraucherverbände für die geschädigten Verbraucher gleich Schadensersatz oder Unterlassung der schädigenden Handlung gerichtlich geltend machen. In Prozessen mit vielen Betroffenen können so leicht Forderungen in Millionenhöhe entstehen.
Interessen Dritter nicht ausgeschlossen: Prozessfinanzierung
Weiterhin ist im ausverhandelten Richtlinientext nunmehr ausdrücklich eine kommerzielle Drittfinanzierung erlaubt. Prozessfinanzierer können also das wirtschaftliche Risiko einer solchen EU-Verbandsklage abfedern (und auch am wirtschaftlichen Erfolg der Verbandsklage beteiligt werden). Die Mitgliedstaaten sollen dabei sicherstellen, dass Prozessfinanzierer keinen Einfluss auf die Verfahrensstrategie nehmen und die Unabhängigkeit der qualifizierten Einrichtung gewahrt bleibt.
Klare Regeln für die Prozessfinanzierung sind nach Auffassung des MITTELSTANDSVERBUNDES notwendig, um missbräuchliche und rein auf kommerzielle Interessen ausgerichtete Klagen zu verhindern. Gerade für den Verbraucher muss verständlich sein, wann eine Klage sinnvoll ist, oder wann andere – externe – Interessen im Prozess überwiegen. Eine umfassende Aufklärung über die Erfolgsaussichten ist zunächst Sache der qualifizierten Einrichtungen. Der Gesetzgeber muss jedoch durch klare Regeln vorgeben, unter welchen Voraussetzungen eine Prozessfinanzierung möglich ist.
Ausblick
Bei Massen-Schadensereignissen wird zukünftig ein rauerer Wind für Unternehmen wehen, als dies bislang der Fall war. Der Trend hin zu einem Generalverdacht gegen Unternehmen, wie er sich bereits mit den Ansätzen eines Unternehmer-Strafrechts in Deutschland abzeichnete, setzt sich durch die EU-Verbandsklage weiter fort. Nunmehr ist eine stringente Umsetzung der Richtlinie notwendig, um Unternehmen und Verbrauchern gleichermaßen Rechtssicherheit zu vermitteln und unnötige Klagewellen zu vermeiden.