Fünf Thesen zur Zukunft der politischen Interessenvertretung
Die fortschreitende Digitalisierung macht auch vor der Politik nicht halt. Marius Müller-Böge, Leiter Mittelstandspolitik beim MITTELSTANDSVERBUND, hat für den KOMPASS Mittelstand 2024 einmal untersucht, welche Chancen und Herausforderungen sich daraus für die politische Interessenvertretung ergeben.
Berlin, 21.02.2024 – Es gibt keine Politik ohne politische Interessenvertretung. Doch ihr regulatorischer Rahmen verändert sich stetig und sorgt im Jahr 2024 für weitere Pflichten. Wie aber könnte sie sich in Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung perspektivisch entwickeln?
1. Die Komplexität der Interessenvertretung nimmt weiter zu.
Während wir unsere Welt als immer komplexer wahr nehmen, so tendiert auch die Gesetzgebung zu immer kleinteiligerer Regulierung. Verbände wie DER MITTELSTANDSVERBUND reagieren darauf und arbeiten unter Beteiligung ihrer Mitglieder vor und während des Gesetzgebungsprozesses heraus, welche Normen und Vorgaben sich vorteilhaft oder aber nachteilig auf die vertretenen Unternehmen auswirken. Auch wenn eine Verringerung von Bürokratielasten und damit eine Vereinfachung zentrales Interesse des Mittelstands ist, ergeben sich durch den technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt fortwährend neue Regelungsbedarfe. Zudem entsteht im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure zwangsläufig eine komplexe Interessenlage mit notwendigen Kompromissen.
2. KI kann helfen, doch Interessenvertretung bleibt menschlich.
Zwar erscheint es naheliegend, dass auch in der politischen Interessenvertretung die Verbreitung von KI zunehmend die Arbeitsabläufe vereinfachen kann. Insbesondere für die Informationsgewinnung sowie Erstellung einfacher Texte stimmt das sicherlich und führt bereits zu Veränderungen. Aber Interessenvertretung erfordert auch einen umfassenden Kontext: Erfahrung im politischen Betrieb, profunde Kenntnisse über die eigenen Interessen sowie insbesondere ein belastbares persönliches Netzwerk und die unmittelbare soziale Interaktion. Deshalb sind die vielfältigen Menschen, die Interessenvertretung betreiben, auch in Zukunft unverzichtbar.
3. Interessenvertretung soll messbarer werden, hat aber keine einheitliche Skala.
Die fortschreitende Digitalisierung macht selbstverständlich vor der Interessenvertretung nicht halt. Wenn wir es in anderen Bereichen zunehmend gewohnt sind, Erfolg genau in Zahlen zu messen, könnte der Lobbying-Erfolg doch ebenso messbar sein. Es gibt jedoch ein Problem: Die Ziele der Interessenvertretung sind oft langfristig und ein Erfolg hängt angesichts der Vielzahl am Prozess beteiligter Akteure von unzähligen Faktoren ab. Für den Erfolg gibt es damit keine allgemein aussagekräftige Skala. Dennoch brauchen wir klar definierte Ziele, die als Richtschnur für erfolgreiche Interessenvertretung dienen.
4. Die Anforderungen an Interessenvertretung steigen, weil Missverständnisse beharrlich sind.
Seit Anfang 2022 gibt es in Deutschland erstmals ein umfassendes Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, das im Jahr 2024 sogar noch verschärft wird. Transparenz und verantwortliches Handeln sind in der politischen Interessenvertretung besonders wichtig, weshalb ein Register für alle Akteure seine Berechtigung hat. Leider halten sich immer noch hartnäckige Mythen: Es gibt keine "guten" und "bösen" Lobbyisten. Vielmehr ist Interessenvertretung ein integraler Bestandteil unseres politischen Systems und lebt von der Beteiligung aller Akteure gleichermaßen. Auch die gesetzlichen Anforderungen an ihre Tätigkeit sollten daher die gleichen sein.
5. Interessenvertretung bleibt gerade für die Unternehmen im kooperierenden Mittelstand unverzichtbar.
Angesichts der hohen Komplexität, steigender Anforderungen und nur teilweise messbarer Erfolge könnte man fragen, ob sich politische Interessenvertretung überhaupt noch lohnt. Darauf gibt es nur eine Antwort: Wenn gerade die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen im kooperierenden Mittelstand nicht mehr aktiv vertreten werden, dann gehen sie im politischen Prozess unter. Wir können nicht auf natürliches Verständnis für die Bedürfnisse gewerblicher Verbundgruppen hoffen, wir müssen sie der Politik kontinuierlich erklären. Nur so finden sie auch z.B. gegenüber den Interessen großer Industriekonzerne Gehör. Das ist gerade gegenwärtig unverzichtbar.