Rückblick: Was war 2014 in Brüssel?
Eine Reihe neuer Köpfe gab es dieses Jahr in Brüssel. Doch was ist in der EU-Politik sonst noch passiert? Was erwartet den kooperierenden Mittelstand in 2015? DER MITTELSTANDSVERBUND blickt auf ein bewegtes Jahr zurück.
Brüssel 21.12.2014 — Die größten Veränderungen in 2014 waren sicherlich die Wahlen des neuen Europäischen Parlaments und der EU-Kommission unter Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Spiegelbildlich zur Bundesregierung hat sich eine große Koalition zwischen den Christdemokraten und den Sozialdemokraten (mit Unterstützung der Liberalen) herausgebildet. Einige Euroskeptiker sind in anderen Fraktionen unter gekommen, wie beispielsweise die AfD bei den Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR), einige andere bleiben fraktionslos.
Der Versuch der rechtskonservativen französischen Europaabgeordneten, Marin Le Penn, eine euroskeptische Fraktion zu gründen, ist bislang an den erforderlichen Mindestanforderungen (Mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten) gescheitert. Die Schlagkraft der Euroskeptiker ist damit um einiges geringer, als anfänglich befürchtet. Dennoch zwingen die knappen Mehrheitsverhältnisse in einigen Ausschüssen des Parlaments die Europaparlamentarier zu einer engeren Abstimmung der Entscheidungen, als dies bislang der Fall war.
EU-Kommission will Neustart
Die neugewählte EU-Kommission hat durch ihr kürzlich veröffentlichtes Arbeitsprogramm für das kommende Jahr bereits gezeigt, dass zukünftig "Großes im Großen und Kleines im Kleinen" das neue Leitprinzip der Kommission sein soll. Auf der Agenda der Kommission steht dabei ein Wort in großen Lettern: Wachstum. Dies soll vor allem durch Investitionen geschaffen werden. Zudem soll der Industriestandort Europa gestärkt werden. Dass dabei die Interessen des Mittelstandes nicht zu kurz kommen, wird eine der Hauptaufgaben für 2015 sein.Was war 2014?
2014 sind auch eine Vielzahl von Gesetzespaketen verhandelt worden, die Relevanz für den kooperierenden Mittelstand haben:- Berichtspflichten nicht-finanzieller Art (CSR): Die Richtlinie zur Änderung der Bestimmungen über den Jahresabschluss wurde im September vom Rat der EU angenommen und im November im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Dabei ist es gelungen, KMU von den Berichtspflichten nicht-finanzieller Art auszunehmen. Die Mitgliedstaaten haben nunmehr bis Dezember 2016 Zeit, die Richtlinie in nationales Gesetz umzusetzen. Dass die EU-Kommission mit dem gefundenen Kompromiss nicht glücklich ist, lässt sich zwischen den Zeilen lesen. So sagte bereits die neue Justizkommissarin, V#283;ra Jourová, dass nur transparente Unternehmen eine verstärkte Investitionstätigkeit des Privatsektors bewirken könnten. Bis 2018 wird die Europäische Kommission einen Fortschrittsbericht zur Umsetzung der CSR-Regeln vorlegen.
- Mutterschutzrichtlinie: Nach dem Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2015 soll das Konzept des Mutterschutzes neu aufgelegt werden. Sollten sich der Rat, bei dem das Dossiert derzeit ergebnislos hängt, nicht innerhalb von sechs Monaten auf einen Kompromiss einigen, wird die Kommission das Dossier zurückziehen. Gleichzeitig soll jedoch dann ein neuer Vorschlag vorgelegt werden.
- Frauenquote: Über den Richtlinienentwurf wurde bereits 2013 im EU-Parlament abgestimmt. Im Rat wurde jedoch auch in 2014 keine Einigung erzielt. Die Kommission hat den Vorschlag nicht in ihre Streichliste aufgenommen. Das Dossier wird daher weiter verhandelt.
- Datenschutz-Grundverordnung: Nachdem das EU-Parlament bereits im März 2014 über den Verordnungsentwurf abgestimmt hatte, hängt der Vorschlag weiterhin im Rat der EU fest. Die Mitgliedstaaten haben dabei immer noch kein schlüssiges Konzept, ob und inwieweit die von der Kommission vorgeschlagenen Dokumentations- und Informationspflichten auch von KMU eingehalten werden müssen. Gerade dieser Punkt könnte zu einem erheblichen Kostenanstieg auch des kooperierenden Mittelstandes führen. Das Thema wird daher auch in 2015 weiter zu verfolgen sein.
- Lebensmittelkontrollen: Wenn es nach dem Willen des EU-Parlamentes ginge, könnten die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie zukünftig Gebühren für Regelkontrollen im Lebensmittelbereich erheben. Der Rat der EU geht jedoch in eine andere Richtung. Da viele Mitgliedstaaten keine staatlichen Mittel für die amtlichen Kontrollen bereitstellen wollen, sollen zumindest teilweise Gebühren erhoben werden - und das auch, wenn sich ein Unternehmen konform verhält. Auch hier drohen Unternehmen unvorhersehbar hohe Kosten, sodass auch dieses Thema aktuell in 2015 bleiben wird.
- Gemeinsames Europäisches Kaufrecht: Nachdem sich im Rat keine Einigung zu dem Dossier abzeichnet, möchte die Kommission den Verordnungsvorschlag zurücknehmen und einen neuen Vorschlag unterbreiten. Dieser wird sich aller Voraussicht nach auf den Online-Handel beschränken. DER MITTELSTANDSVERBUND hatte gemeinsame Rechtsvorschriften als eine erhebliche Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels begrüßt.
- Wettbewerbsrecht I: Über den Kartellschadensersatz haben sich Rat und Europäisches Parlament bereits einigen können. Im Dezember wurde die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten haben danach zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. DER MITTELSTANDSVERBUND sieht den Kompromiss gerade aufgrund der komplizierten Verfahrensvorschriften kritisch.
- Wettbewerbsrecht II: Für den kooperierenden Mittelstands bleibt das Thema Preisbindung in Verbundgruppen ein Dauerbrenner. Im Juni 2014 hatte die Kommission die neue de minimis Bekanntmachung vorgestellt. In der Bekanntmachung wird darlegt, unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen von geringer Bedeutung zwischen Unternehmen nicht unter das allgemeine Verbot wettbewerbswidriger Praktiken fallen. Auch nach der neuen Bekanntmachung bleiben Preisbindungen in Verbundgruppen grundsätzlich wettbewerbswidrig. In den zukünftigen Diskussionen auf europäischer Ebene wird DER MITTELSTANDSVERBUND daher die strukturellen Nachteile, die Verbundgruppen durch eine fehlende wettbewerbsrechtliche Ausnahme entstehen, verdeutlichen.
Was kommt in 2015?
Die meisten dargestellten Themen werden den MITTELSTANDSVERBUND in seiner Arbeit in 2015 weiterhin begleiten. Dazu kommen noch eine Vielzahl neuer Projekte, die die EU-Kommission in Angriff nehmen möchte.- Mobilitätspaket: Die Kommission möchte ausweislich ihres Arbeitsprogramms ein Paket für mehr Mobilität von Arbeitskräften vorlegen. Dabei dürfen aus Sicht des MITTELSTANDSVERBUNDES nationale Sozial- und Qualifikationsstandards nicht unterschritten werden.
- Digitaler Binnenmarkt: Die Kommission hat einen Verbesserung des Zugangs zum digitalen Binnenmarkt so wie Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen in diesem Bereich versprochen. Dies lässt auch den kooperierenden Einzelhandel hoffen, dass die bestehenden Ausnahmen für Preisbindungen im Online-Handel geöffnet werden könnten.
- Urban Agenda: Wie sollen die Städte von morgen konzipiert werden und wie soll der lokale Einzelhandel dabei einbezogen werden? Die EU-Kommission hatte hierzu Ende 2014 eine öffentliche Diskussion angestoßen, in die sich auch DER MITTELSTANDSVERBUND eingebracht hatte. Die Ergebnisse der Konsultation sollen 2015 veröffentlicht werden. Die Kommission will danach nächste Schritte vorstellen.
- Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels: Hierzu hat die Kommission eine hochrangige Gruppe ins Leben gerufen, die die Prioritäten in diesem Bereich herausarbeiten soll. Für den MITTELSTANDSVERBUND steht fest, dass diese Punkte der Schlüssel zum Erfolg sind:
o Ausnahmen in den Leitlinien zum vertikalen Vertrieb,
o Eine weitere Rechtsvereinheitlichung des grenzüberschreitenden Handels,
o der Abbau unnötiger Bürokratie zur Entlastung der mittelständischen Betriebe sowie
Die Hochrangige Gruppe wird einen Endbericht erarbeiten, der Anstoß für zukünftige Gesetze sein könnte.o der Aufbau von Innovationszentren als Schnittstellen zwischen Forschung und Wirtschaft
"Nach den 'institutionellen Aufregungen' wird 2015 damit ein Jahr werden, in dem sich DER MITTELSTANDSVERBUND in Brüssel auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren wird", prophezeit der Leiter des Büros des Spitzenverbandes in Brüssel, Tim Geier.