Eine Union, die nach mehr strebt: Kommissionspräsidentin im Faktencheck
Am 16. Juli 2019 legte das Europäisches Parlament den Grundstein für die zukünftige Politik der Europäischen Union: Mit der Wahl von Ursula von der Leyen zur neuen Kommission-Präsidentin werden sich auch die Schwerpunkte der längerfristigen EU-Politik ändern. Was ist dabei für den Mittelstand relevant – ein Faktencheck.
Brüssel, 16.07.2019: Nach einer wackeligen Diskussion mit dem Europäischen Parlament konnte Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das Europäische Parlament überzeugen. Mit einer Mehrheit von 383 Stimmen wurde sie heute zur neuen Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. In den Diskussionen der vergangenen Tage konnten sich bereits einige Linien in ihrer künftigen EU-Politik abzeichnen. Nunmehr hat sich die neue Kommissions-Präsidentin in ihren politischen Schwerpunkten für den Zeitraum 2019 bis 2024 auf ein konkretes Programm festgelegt.
Nicht alles ist dabei von unmittelbarer Relevanz für den kooperierenden Mittelstand: So werden in dem Programm Punkte wie die verbesserte Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament oder mehr Gewicht der EU auf dem internationalen Parkett angesprochen. Andere Punkte sind hingegen von äußerster Relevanz für Verbundgruppen und deren Mitglieder.
Neuer Green Deal für Europa
Von der Leyen hat das Wahlergebnis zum Europäischen Parlament klar als einen Auftrag an den künftigen Gesetzgeber verstanden, in Sachen Klimapolitik eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ein Kernpunkt ihres Programms ist daher die ambitionierte Umsetzung des Pariser Klima-Abkommens. Aus diesem Grund sollen die bisherigen auf europäischem Niveau gesetzten Ziele nochmals angehoben werden: Bis 2030 soll Europa seine Treibhausgas-Emissionen daher um 55 Prozent senken. Bis 2050 soll Europa vollends Klima-neutral sein.
Kernmechanismus dabei soll die Erweiterung des bestehenden Systems des Emissionshandels sein. Dieser soll schrittweise auch für den Transportverkehr sowie den Bau von Immobilien gelten. DER MITTELSTANDSVERBUND pochte – nicht zuletzt in der aktuellen Debatte in Deutschland – auf Planungssicherheit für Unternehmen; jegliche Art von Bepreisung muss ein Höchstmaß an Planungssicherheit und Berechenbarkeit für den Mittelstand gewährleisten. „Kostenrisiken, wie volatile Preise eines Emissionshandels, sind Gift für Unternehmen, die auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen sind.“, so Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer DER MITTELSTANDSVERBUND.
Weiterhin plant von der Leyen einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft – und bliebt leider bei der Aufzählung dieses Vorhabens ohne konkrete Vorschläge. Auch DER MITTELSTANDSVERBUND sieht eine Vereinheitlichung der Regeln der Kreislaufwirtschaft auf Europäischem Niveau besser verortet. Die oftmals rein nationalen Regeln erschweren den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr. Deutschland ist in vielen Bereichen Vorreiter, wenn es um ambitionierte Regeln der Kreislaufwirtschaft geht. Die Last dieser Regeln tragen kleine und mittlere deutsche Unternehmen hingegen überproportional hoch: Viele Importeure kommen ihren Pflichten nicht nach, der Leidtragende ist dann wiederum der in Deutschland tätige Unternehmer. Hier bedarf es europäischer Regeln, um eine gerechte Lastenverteilung zu gewährleisten.
Fokus KMU – aber wie?
Die Kommissionspräsidentin befasst sich auch mit dem Thema „Mittelstand“. Dies jedoch leider in einer sehr vagen Art und Weise – außer einem Versprechen für Bürokratieabbau und einen leichteren Marktzugang steht nicht viel in dem Programm. Hier fordert DER MITTELSTANDSVERBUND mehr Mut und mehr Konkretisierung. Weniger Bürokratie wird an vielen Stellen versprochen, nur fehlt es allzu oft an konkreten Maßnahmen und Strategien. DER MITTELSTANDSVERBUND wird sich daher dafür einsetzen, dass den Worten auch Taten folgen und etwa durch Erleichterungen im Wettbewerbsrecht echte Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen werden.
Besteuerung – Ein Blick nach Frankreich?
Hinsichtlich des Themas Besteuerung lenkt von der Leyen richtigerweise den Blick Richtung Frankreich: Dort wurden jüngst neue Regeln hinsichtlich der Besteuerung großer Online-Unternehmen verabschiedet. Auch die neue Kommissionspräsidentin sieht ein Ungleichgewicht in der steuerlichen Behandlung von Online-Pure-Playern und Unternehmen mit einer physischen Präsenz in der EU. Hierbei setzt von der Leyen zunächst auf eine internationale Lösung. Sollte diese bis zum Ende des Jahres 2020 nicht gefunden werden, wird eine Europäische Initiative forciert. DER MITTELSTANDSVERBUND begrüßt zunächst einen solchen Ansatz, denn gerade im Online-Bereich verschmelzen die Märkte. Eine wirkliche Steuer-Gerechtigkeit kann es daher nur auf globaler Ebene geben. Dennoch: Mitgliedstaaten, die bereits jetzt mehr wollen, sollten dies in einer „Frontrunner-Initiative“ und unter Moderation und Koordination der Europäischen Kommission versuchen können.
Soziale Rechte
Hinsichtlich der Vereinheitlichung der sozialen Rechte in Europa spricht sich von der Leyen klar für die Punkte aus: Einheitlicher Mindestlohn, Entgelt-Transparenz sowie Balance in Führungspositionen. Die durchaus validen Anliegen müssen jedoch in einer Art und Weise umgesetzt werden, die Unternehmen – gerade im Mittelstand – nicht über Gebühr belasten.
Digitale Agenda
Wie zu erwarten war, plant von der Leyen eine neue Strategie für Künstliche Intelligenz. Aber auch hier lässt die Kommissions-Präsidentin Details vermissen und befasst sich an keiner Stelle mit dem Thema Data-Sharing/Data-Pooling – einer Thematik, die gleichermaßen Grundvoraussetzung für die aktuelle Diskussion rund um das Thema Künstliche Intelligenz ist.
Konkreter wird es allerdings bei den digitalen Dienstleistungen. Hier will von der Leyen einen „Digital Services Act“ auf den Weg bringen. Dieser soll horizontal Regeln für die Plattform-Ökonomie aufstellen. Dabei sollen nationale Initiativen zur Eindämmung von Cyber-Kriminalität und illegalen Inhalten du Hassreden auf EU-Ebene vereinheitlicht werden.
Fraglich dabei ist, inwieweit neue Pflichten auf Plattform-Betreiber zukommen werden und mit welchen Kosten dies verbunden sein wird. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen, die Plattformen betreiben, muss daher die Geringhaltung von Mehraufwand das Hauptziel sein. Interessant erscheint die Möglichkeit, in diesem Rechtsakt auch die Interoperabilität – also die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme, möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten – von Diensten regeln zu lassen. Die Frage wird hierbei sein: Welche Daten dürfen Händler künftig von einer Plattform mitnehmen, wenn sie zu einer anderen wechseln?
Fazit
Das Programm liest sich wie eine Zusammenfassung aktueller politischer Diskussionen. Die an vielen Stellen vagen Aussagen und Versprechen müssen nunmehr mit Leben gefüllt werden. Themen wie „Wettbewerbsrecht - Schaffung eines Level Playing Fields“ oder „Umgang mit Big-Data-Monopolen“ fanden leider keinen Eingang in das Programm. Gut gedacht, aber an vielen Stellen zu kurz gegriffen.