Neue Gesetzesinitiative der EU-Kommission zur Stärkung der Landwirte
Mit zwei Gesetzesinitiativen will die EU-Kommission die Position der Landwirte in der Lebensmittellieferkette stärken. Um welche Änderungen es geht und wo die Initiativen aktuell stehen, erklärt DER MITTELSTANDSVERBUND ausführlich.
Mithilfe zweier Gesetzesinitiativen will die Kommission die Position der Landwirte in der Lebensmittellieferkette stärken. Dies entspricht den Forderungen des kürzlich veröffentlichten Abschlussberichts des „Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft“. Während die Überarbeitung der Gemeinsamen Marktordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse (GMO) vor allem auf den Abbau unlauterer Handelspraktiken sowie der Stärkung von Erzeugerorganisationen abzielt, soll eine neue Richtlinie die Kooperation der Durchsetzungsbehörden in grenzüberschreitenden Fällen verbessern.
Starrere Vertragsmodalitäten
Eine wesentliche Änderung des Kommissionsvorschlags ist die Ausweitung der Vertragspflicht auch auf Milchlieferungen, deren Umsetzung den Mitgliedstaaten bisher nur freigestellt war. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat Anfang des Monats zugesagt, die entsprechenden Passagen im AgrarOkLG zu ändern.
Darüber hinaus zielt die Gesetzesinitiative der Kommission darauf ab, die Vertragsmodalitäten zwischen Erzeugern und Käufern strikter zu reglementieren. Änderungen in diesem Sinne beziehen sich auf
- die Preisgestaltung, die im Vertrag künftig transparent ausgestaltet werden muss - entweder in Form eines statischen Preises oder aber in einer Berechnung mittels objektiver, leicht zugänglicher Indikatoren.
- eine Revisionsklausel, die künftig in Verträge mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten aufgenommen werden muss und von allen beteiligten Vertragsparteien gezogen werden kann.
- Ausnahmen von der schriftlichen Vertragsbindung. Diese betreffen neben bereits bestehenden Ausnahmeregelungen für Erzeugerorganisationen Kleinst- oder Kleinunternehmen, simultane Lieferung und Zahlung oder unentgeltliche Lieferungen bzw. die Lieferung nicht mehr verkaufsfähige Waren.
- Zusätzliche Ausnahmeregelungen, die Mitgliedstaaten in ihrer Umsetzung einführen können. Dies kann etwa Lieferwerte unter einer bestimmten Schwelle oder Produkte mit einem saisonalen oder verderblichen Charakter betreffen.
- Das Recht von Landwirten, auch in Ausnahmefällen auf den Abschluss eines schriftlichen Vertrags zu bestehen
„Social Claims“: neue Mindestanforderungen für die Verwendung bestimmter Begriffe
Neben den erweiterten Vorschriften für Vertragsbeziehungen in der Lebensmittellieferkette sieht die Initiative der Kommission neue Mindestanforderungen für die Verwendung einzelner Begriffe für die kommerzielle Verwendung. So sollen die Begriffe „fair“ und „gerecht“ zukünftig in bestimmten Sektoren etwa nur noch verwendet werden, wenn sie zum Zwecke der Information über Modalitäten bezüglich des Betriebs, der Verteilung oder der Inverkehrbringung genutzt werden. Hierzu zählen unter anderem die Stabilität und Transparenz in der Beziehung zwischen Landwirten entlang der Lieferkette, einem von den teilnehmenden Landwirten als „angemessen“ angesehenen Preis für ihre Erzeugnisse.
Der Begriff „kurze Lieferkette“ hingegen darf lediglich kommerziell in Zusammenhang mit der direkten Verbindung oder in Bezug auf die geografische Nähe zwischen Bauen und Endverbrauchern genutzt werden.
Stärkung der Erzeugerorganisationen
Zudem soll in der Überarbeitung der GMO Erzeugerorganisationen gestärkte werden. In diesen schließen sich Landwirte zusammen, um ihre Ressourcen zu bündeln und ihre Marktmacht gegenüber den nachgelagerten Akteuren der Lebensmittelversorgungskette zu vergrößern. Der Gesetzesvorschlag der Kommission zielt mit seinen Vorschlägen nun darauf ab, diese Marktmacht weiter auszubauen. Dies soll etwa durch die Förderung der demokratischen Kontrolle durch eine Anpassung der Mitgliedschaftsregeln, die Vereinfachung der Gründung und Anerkennung solcher Organisationen sowie die Möglichkeit der Aushandlung von Vertragsbedingungen durch anerkannte Vereinigungen (z.B. zur Förderung von Qualitätsstandards) geschehen.
Verbesserung der grenzüberschreitenden behördlichen Zusammenarbeit
Eine zweite wesentliche Säule der Gesetzesinitiative besteht in der Schaffung einer neuen Richtlinie zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Durchsetzungsbehörden in grenzüberschreitenden Fällen von unlauteren Handelspraktiken.
Demnach sollen nationale Durchsetzungsbehörden zukünftig von Behörden anderer Mitgliedstaaten Informationen anfordern können, sollte ein Verdachtsfall einer schwarz-gelisteten Praxis bestehen mit grenzüberschreitendem Charakter vorliegen. Eine Antwort hierauf müsste dann innerhalb von 60 Tagen erfolgen. Sollte sich ein Verdacht erhärten, würden die Behörden im nächsten Schritt einen Koordinator benennen, der Untersuchungen einleitet, die Zusammenarbeit koordiniert und Ergebnisse gegebenenfalls mit anderen Behörden teilt. Auch sollen fortan nationale Behörden im Namen von nationalen Behörden anderer Staaten Vollstreckungsmaßnahmen wie Sanktionen durchsetzen können.
Bewertung: Eingriffe in die Vertragsfreiheit haben ein kritisches Maß erreicht
Die nunmehr vorgestellten Vorschläge stellen in ihrer Art und Regelungstiefe einen unerwarteten Ansatz zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe dar. Weder fand vorab eine breit angelegte öffentliche Diskussion aller betroffenen Stakeholder statt, noch erfolgte eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den möglichen Auswirkungen einer solchen Regulierung.
Bereits eine erste Durchsicht der Vorschläge weist auf Unklarheiten der vorgestellten Vorschriften auf hin: So lassen die vorgeschlagenen Erleichterungen bzgl. der „Social Claims“ erheblichen Interpretationsspielraum bzgl. der Breite solcher Aussagen.
Hinsichtlich der Verbesserung der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Verstößen fehlen notwendige Klarstellungen bzgl. des im Einzelfall anzuwendenden Rechts.
Weiterhin wird die Umsetzung vieler Vorschriften in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Eine weitere Fragmentierung des Binnenmarktes ist daher zu befürchten. Unternehmen, die auch grenzüberschreitenden tätig sind, werden nur mit erheblichem Aufwand ihre Compliance-Systeme anpassen können.
Insgesamt konterkarieren die Vorschläge daher jegliche Versprechen, die die Europäische Kommission in jüngster Zeit in Richtung „besserer Rechtssetzung“ abgegeben hat.
Die Rechtsunklarheiten erfordern Nachbesserungen und Klarstellungen im anlaufenden Gesetzgebungsverfahren werden nicht der Zielsetzung einer schnellen Verbesserung der Lage von Landwirten dienen.
Wie geht es weiter?
Nach der Gesetzesinitiative sind nun das Parlament und der Rat der Europäischen Union am Zug. Mögliche Änderungsvorschläge der Akteure werden dann im nächsten Schritt im Trilogverfahren verhandelt. Wir halten Sie diesbezüglich am Laufenden.