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EuGH: Mitgliedstaaten müssen Arbeitszeiterfassung regeln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer gemessen werden kann. Ziel ist, den Schutzzweck der EU- Arbeitszeitrichtlinie umfassend zu gewährleisten. Eine Umsetzung in deutsches Recht bleibt abzuwarten.

Berlin, 15.5.2019 – Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18 – über die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung entschieden. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie sei dahingehend auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Arbeitgeber nicht zur Arbeitszeitaufzeichnung verpflichtet. Es sei ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

EuGH: Mitgliedstaaten müssen Arbeitszeiterfassung regeln Sachverhalt

Die spanische Gewerkschaft CCOO hatte eine Verbandsklage gegen die Deutsche Bank SAE eingereicht, mit der sie die Feststellung begehrte, dass das Unternehmen verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von den Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen. Diese Verpflichtung ergebe sich aus der Auslegung von Art. 34 und Art. 35 des spanischen Arbeitnehmerstatuts i.V.m. der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Art. 34 Arbeitnehmerstatut legt die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie die tägliche Ruhezeit fest. Im Hinblick auf Überstunden bestimmt Art. 35 Abs. 5 Arbeitnehmerstatut: „Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahlung der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt...“. 

Der spanische Oberste Gerichtshof hatte entschieden, dass es im spanischen Recht keine allgemeine Verpflichtung gebe, die Regelarbeitszeit aufzuzeichnen. Art. 35 Abs. 5 Arbeitnehmerstatut verpflichte nur zur Führung einer Liste der geleisteten Überstunden und zur Mitteilung der Zahl der ggf. von den Arbeitnehmern geleisteten Stunden am Ende jeden Monats an ihre Gewerkschaftsvertreter.

Der Nationale Gerichtshof hatte Zweifel an der Vereinbarkeit des spanischen Rechts in der Auslegung durch den Obersten Gerichtshof mit dem Unionsrecht. Deshalb hatte der Nationale Gerichtshof dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, inwieweit die Auslegung von Art. 34 und Art. 35 des Arbeitnehmerstatuts mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar sei. Nach Ansicht des Nationalen Gerichtshofs könne das spanische Recht die Einhaltung der in der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Verpflichtungen nicht gewährleisten. 

Entscheidungsgründe 

Der EuGH stellt fest, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie zwar nicht die konkreten Maßnahmen festlege, mit denen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der in der Richtlinie vorgesehenen Rechte sicherstellen müssten. Vielmehr seien die Mitgliedstaaten frei, die „erforderlichen Maßnahmen" zu treffen. Auch wenn die Mitgliedstaaten daher über einen gewissen Spielraum verfügten, müssten sie angesichts des von der EU- Arbeitszeitrichtlinie verfolgten Zwecks, einen wirksamen Schutz der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu gewährleisten, sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird. Die von den Mitgliedstaaten festgelegten Modalitäten zur Umsetzung der EU- Arbeitszeitrichtlinie dürften nicht zu einer Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte führen.

Vor diesem Hintergrund stellt der EuGH fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden könne. Damit sei es für Arbeitnehmer äußerst schwierig, die aus der EU- Arbeitszeitrichtlinie folgenden Rechte durchzusetzen. Die objektive und verlässliche Feststellung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit sei für die Feststellung, ob Höchstarbeitszeiten sowie Ruhezeiten eingehalten worden seien, unerlässlich.

Der EuGH vertritt daher die Auffassung, dass ohne die Verpflichtungen zur Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeit die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Schutzrechte nicht umfassend gewährleistet würden. Weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer könnten überprüfen, ob diese Rechte beachtet würden. Ohne Erfassung der täglichen Arbeitszeit würde das Ziel der EU- Arbeitszeitrichtlinie - Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer - gefährdet.

Dagegen biete ein System zur Arbeitszeiterfassung den Arbeitnehmern ein wirksames Mittel, um an objektive und verlässliche Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen. Dadurch werde auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrollen der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte erleichtert.

Demnach müssten die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne. Es obliege den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, zu bestimmen. 

Bewertung und Folgen der Entscheidung 

Vor dem Hintergrund, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie keine Aussagen zu Aufzeichnungspflichten enthält, ist die Entscheidung des EuGH zweifelhaft.

Die Entscheidung richtet sich unmittelbar an die Mitgliedstaaten. Der EuGH überlässt es diesen, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit zu bestimmen und dabei ggf. den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, den Eigenheiten und der Größe der Unternehmen Rechnung zu tragen.

Die Entscheidung des EuGH steht – soweit aus der Pressemitteilung des Gerichts ersichtlich – nicht der Möglichkeit entgegen, die Aufzeichnung der Arbeitszeit an die Beschäftigten zu delegieren.

Aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie lassen sich - mit Ausnahme des bezahlten Mindestjahresurlaubs - keine Schlussfolgerungen auf vergütungsrechtliche Regelungen ziehen. Die Richtlinie regelt im Kern ausschließlich Fragen von Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Ruhepausen.

In der Bundesregierung gibt es Streit über die Umsetzung in nationales Recht. Während Arbeitsminister Heil das Urteil sorgfältig auswerten und anschließend zügig umsetzen möchte, stellt Wirtschaftsminister Altmaier die Umsetzungspflicht generell in Frage und will dies über ein Gutachten klären lassen. Mit einem Referentenentwurf ist vor der Sommerpause nicht zu rechnen.

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