Homestory BÄKO Weser-Ems-Mitte: Das Backhandwerk macht sich „H2-ready“
In der 5. Ausgabe unserer Reihe „Homestorys“ setzt die BÄKO Weser-Ems-Mitte das Thema Wasserstoff auf die Agenda. Mit der Anschaffung eines Lkw mit Wasserstoffantrieb und Technologieoffenheit im Bereich Backofentechnik stellt die BÄKO unter Beweis: In kaum einer Branche liegen Tradition und Innovation so nah beieinander wie im Bäckereihandwerk.
Berlin, 31.01.2023 – In der Reihe „Homestorys“ stellen wir ausgewählte Betriebe vor, die das Angebot einer Klimaprofi-Beratung angenommen haben und berichten von ihren Erfahrungen. Einige Unternehmen haben bereits Pionierarbeit geleistet, andere stehen noch am Anfang.
„Wirtschaften mit Weitblick“ – das hat sich der Klimaverbund Mittelstand auf die Fahnen geschrieben. Und damit ist auch gemeint, bei der Bewältigung aktueller Krisen die langfristigen Strategien nicht aus den Augen zu verlieren. Die BÄKO Weser-Ems-Mitte hat als First Mover bereits 2020 einen Mitarbeiter das Qualifizierungsprogramm „Klimaprofi“ des MITTELSTANDSVERBUNDES durchlaufen lassen. Die Wahl fiel auf Olaf Gemmel, Prokurist und Ingenieur. Als Leiter des Technischen Kundendienstes kennt er nicht nur die Herausforderungen, mit denen die Bäckereibranche aktuell konfrontiert ist, sondern sieht es auch als seine Aufgabe, Pilotprojekte anzuschieben und die Entwicklungen des Energiemarktes der Zukunft im Blick zu behalten.
„Als einer der größten Rohstoff- und Dienstleistungslieferanten des Bäcker- und Konditorhandwerks ist es uns ein großes Anliegen, auch in Punkto Klimaschutz eine Vorreiterrolle einzunehmen,“ fasst Olaf Gemmel die Motivation der größten Genossenschaft im BÄKO-Verbund zusammen. Und wer Vorreiter sein will, muss auch mal Schritte gehen, die noch niemand vor ihm getan hat: Die BÄKO Weser-Ems-Mitte wird ihre Lkw-Flotte ab Mitte 2023 um einen ersten Wasserstoff-Lkw erweitern.
Das Modell ENGINIUS BLUEPOWER wurde am 21.09.2022 auf der IAA-Transportation bestellt. Unter dem gewohnten Stern steckt Maßanfertigung aus dem Hause FAUN: Der batteriebetriebene Lkw ist zusätzlich mit drei Wasserstoffbrennstoffzellen ausgestattet und wird damit als vollständig klimaneutraler Hybrid mit erhöhter Reichweite unterwegs sein. Lediglich das rohe Chassis stammt von Daimler Trucks. Der aufgesetzte „Koffer“ in Leichtbauweise ist exklusiv für die Bedürfnisse des BÄKO-Lieferbetriebs maßgeschneidert, mit drei variablen Zonen für Tiefkühl-, Kühl- und Trockenware plus Ladebordwand. Die Reichweite des H2-Lkw ist auf die Anforderungen des täglichen regionalen Lieferbetriebs ausgelegt. „Eine klimaneutrale Belieferung ist natürlich interessant für Betriebe, die zukünftig ihre Scope-3-Emissionen für die Warenbelieferung nicht lediglich teuer kompensieren, sondern aktiv auf null reduzieren wollen“, so Gemmel.
Klimaneutrale Vorkette für die Mitgliedsbetriebe
Bäckereien waren in jüngster Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Energiekrise in den Medien präsent. Denn um unser aller täglich Brot herstellen zu können, ist das backende Handwerk angesichts der aktuellen Krise auf kurzfristige Maßnahmen zur finanziellen Entlastung angewiesen – langfristig ist sie jedoch bereit und in der Lage, den erforderlichen Transformationsprozess zur Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität verantwortlich mitzutragen. So war es in einem offenen Brief an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vom September 2022 zu lesen, dessen Mitunterzeichnerin die BÄKO war.
„Mit Mut und Verbindlichkeit aus der Energiekrise“
Dass dies keine Lippenbekenntnisse sind, stellt die BÄKO Weser-Ems-Mitte mit ihrer neuesten Investition in Wasserstofftechnologie unter Beweis. „Auf dem Weg Richtung Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität sind auch Pioniergeist und eine gewisse Risikobereitschaft gefragt“, so die Projektleiterin des Klimaverbunds, Dr. Sabine Schäfer. „Nur wer Erfahrungen aus erster Hand macht, ergreift die Chance und ist den anderen einen Schritt voraus, wenn es darum geht, weitere Transformationsprozesse zu planen.“ Diese Erfahrungen können dann in den regelmäßig stattfindenden Jours-fixes im Netzwerk Klimaverbund geteilt werden. Dieses Format dient dem branchenübergreifenden Wissenstransfer, hier werden die Klimaprofis auf den neuesten Stand der politischen Rahmenbedingungen gebracht und neue Themen angestoßen. Der Fokus ist dabei flexibel und richtet sich ganz nach den Erfordernissen aus der Praxis der Verbundgruppen.
Apropos Praxis. Stellen wir dem „Klimaprofi“ die Frage aller Fragen: Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit des Wasserstoff-Lkw aus? „Wir alle sind Betriebswirte und können rechnen,“ sagt Olaf Gemmel und bezieht sich dabei auch auf das Netzwerk Klimaverbund Mittelstand mit mittlerweile 40 Klimaprofis aus 25 Verbundgruppen. Bei den aktuellen Preisen würden sich die Anschaffungskosten im Direktvergleich mit einem Verbrenner nicht so schnell amortisieren. „Doch auf dem Wasserstoffsektor finden rasante Entwicklungen statt, praxistaugliche Technologien werden serientauglich gemacht. Damit werden die Anschaffungskosten für solche Fahrzeuge mittelfristig wohl um ein Wesentliches reduziert. Diesen Trend beobachten wir ja bereits auch schon seit einigen Jahren auf dem Elektro-Automobilsektor.“ Das Projekt wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert. Was die Betriebskosten betrifft, so sieht Olaf Gemmel den Wasserstoff-Lkw im Vorteil: „Auf lange Sicht fallen die Betriebskosten geringer aus: Keine Maut. Keine Steuern. Kaum Wartungskosten. Verbrauch- und Wasserstoffkosten stehen im Vergleich zum Diesel bereits gleichauf. Unterm Strich rechnen wir damit, dass wir in ein paar Jahren kostenpaarig zu einem Diesel-Lkw unterwegs sein werden.“
„Wer vorausschauend in die Resilienz seiner Unternehmen investiert, ist gewappnet für zukünftige Krisen“
Die Hauptmotivation dieses Pilotprojekts war ohnehin nicht die kurzfristige Kostenersparnis. Vielmehr geht es darum, Wasserstofftechnologie in die Praxis zu bringen und dabei wertvolle Erfahrungen zu sammeln. In der BÄKO-Zentrale Oldenburg wurden bereits vor über zehn Jahren die zur Verfügung stehenden Dachflächen genutzt und dann nochmals auf 7.000 m2 Solarfläche nachgerüstet. Die so autark erzeugte Strom-Menge führt zu einer jährlichen CO2-Minderung von 750 Tonnen. „Dabei haben wir den CO2-Anteil, der bei der Herstellung von Solarplatten aufgewendet werden musste, bei dieser Gegenüberstellung bereits berücksichtigt.“ Rückblickend also die richtige Entscheidung. Hier zeigt sich mal wieder, dass es sich auszahlt, „vor der Welle zu reiten“, wie Dr. Ludwig Veltmann oft betont. „Wer vorausschauend in die Resilienz seiner Unternehmen investiert, ist gewappnet für zukünftige Krisen“, so der Hauptgeschäftsführer des MITTELSTANDSVERBUNDES.
Was die Wirtschaftlichkeit neuer Technologien betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sich die Kräfteverhältnisse in naher Zukunft verschieben werden. Der EU-Rechnungshof stellt in seinem Bericht „Energiebesteuerung, CO2-Bepreisung und Energiesubventionen“ vom 31.01.2022 fest, dass die Staaten der Europäischen Union noch immer mit stolzen 55 Milliarden Euro im Jahr fossile Brennstoffe subventionieren, vor allem Kohle und Treibstoffe. Allerdings haben sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die Subventionen für fossile Brennstoffe bis 2025 auslaufen zu lassen. Auch wenn fraglich ist, ob sich an diese Vereinbarung gehalten wird – in Zukunft wird die ein oder andere Rechnung bezüglich der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Wasserstofftechnologie wahrscheinlich anders aussehen.
Darauf möchte Olaf Gemmel seine Bäcker und Konditoren, die Mitgliedsbetriebe der BÄKO, frühzeitig vorbereiten. Wer sich von den fossilen Energieträgern unabhängig macht, ist auf der sicheren Seite, „denn spätestens 2035 wird die CO2-Bepreisung voll zuschlagen“, so Gemmel. Bäckereien mit ihren Öfen und Kühlkammern haben einen hohen Energiebedarf, gelten als energieintensive Branche. „Kühlung und sogar der Grundbedarf eines Backbetriebes können oftmals über eine eigene Photovoltaik abgedeckt werden.“ Doch die Öfen in den Bäckereien haben einen sehr hohen Energiebedarf, „das bekommt man mit PV allein nicht hin.“ Zurzeit sind fast alle Backbetriebe auf Gas als Prozesswärme angewiesen. Dass das nicht so bleiben muss, zeigen neue Entwicklungen im Bereich Ofentechnologie. Denn auch im Ofenbau hält die Wasserstofftechnologie langsam Einzug. Klimaprofi Olaf Gemmel beobachtet den Markt sehr genau. „Interessant sind Öfen, die „Wasserstoff-ready“ sind: Öfen, die noch konventionell mit Gas betrieben werden können, aber bereits kompatibel für eine Umstellung auf Wasserstoff sind“, so Gemmel. „Wir wollen ja weg vom Gas, weg von den Fossilen.“ Es geht darum, sich kurzfristig unabhängig von explodierenden Gaspreisen zu machen und auf lange Sicht klimaneutral zu wirtschaften.
Erfolgsgeschichten mit wasserstoffbetriebenen Öfen gibt es bereits aus Österreich und den Niederlanden. Eine österreichische Großbäckerei stellt den benötigten grünen Wasserstoff für ihre insgesamt acht Öfen in ihrer eigenen Elektrolyseanlage her, die 2021 auf dem Firmengelände errichtet wurde, inklusive H2-Tankstelle für die Logistikflotte. Die Öfen sind mit Brennern ausgestattet, die zwischen H2 und Erdgas im Betrieb umschalten können. Auch ein Ofenhersteller aus den Niederlanden ist bereits so weit. Eine wasserstoffbetriebene Backstraße für die industrielle Massenproduktion wurde im niederländischen Gorinchem bereits öffentlich präsentiert. In dem Produktionsofen wird auf Stein ein breites Sortiment gebacken, von Brot über Pizza bis hin zu Fladenbrot und Brötchen.
„Abfallprodukt“ Wasserdampf
„Der Ehrgeiz ist da“, freut sich Klimaprofi Olaf Gemmel. Auch in Deutschland gibt es bereits Pilotprojekte. Gemmel berichtet vom Forschungsprojekt eines großen Ofenbauers, das gemeinsam mit dem Technologie Transfer Zentrum Bremerhaven (TTZ) betrieben wird, um wasserstoffbetriebene Backöfen für kleine und mittelständische Bäckereien serienreif zu entwickeln. Der Einsatz von Wasserstoff in der Backtechnologie hat einen besonderen Vorteil: „Beim Verbrennen von Wasserstoff entsteht bekanntlich bloß ein einziges Abfallprodukt: Wasserdampf. Das ist hochinteressant für den Betrieb von Öfen in Bäckereien. Denn normalerweise muss dieser Wasserdampf energieintensiv hergestellt werden, der im Backprozess für die ideale Kruste verantwortlich ist“, so Gemmel. Laut Pressemitteilung des TTZ liegt in der Steuerung der erwünschten Luftfeuchtigkeit eine der Herausforderungen des Forschungsprojekts. „Der Trick und auch gleichzeitig die Schwierigkeit bei einer Wasserstoffverbrennung liegt in der Kombination von Feuchtigkeit und Hitze beim Backprozess. In der Profisprache wird dieses „Bedampfen“ auch als Schwaden oder Wrasen bezeichnet. Hierin liegen derzeit die größten technischen Herausforderungen“, ergänzt Gemmel. Der Hersteller rechnet damit, in zwei bis drei Jahren mit ihren wasserstoffbetriebenen Öfen Marktreife zu erlangen. Das Projekt wird vom Land Bremen sowie aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Die BÄKO plant zukünftig, aktiv am „Netzwerk Wasserstoff“ des TTZ mitzuwirken. Im Netzwerk Wasserstoff werden Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengebracht, um technologische Herausforderungen entlang der Wertschöpfungskette Wasserstoff zu bewältigen und den Innovationstransfer zu beschleunigen.
Die Zukunft kommt oft schneller, als man denkt
Weil Klima und Energie hochdynamische Themen sind, sieht es der Klimaverbund als seine Aufgabe, die Klimaprofis durch regelmäßige Nachschulungen auf dem neuesten Stand der Entwicklungen zu halten. Diese sogenannten „Refresher“ gab es im vergangenen Jahr bereits unter anderem zu Themen wie Klimabilanzierung, Biodiversität, Speicher und Nachhaltigkeits-berichterstattung. Im November 2022 stand dann auch das Thema „Wärmeversorgung: Potentiale für Wasserstoff“ auf dem Plan. Dieses Wissen kann dann durch die Klimaprofis in ihre Verbundgruppen weitergetragen werden.
Klimaprofi Olaf Gemmel hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Know-how an die Mitgliedsbetriebe der BÄKO weiterzugeben und die Entwicklungen auf dem Energiemarkt genau zu beobachten. „Die Diversifizierung und Dezentralisierung des Energiemarktes ist die Zukunft. Wasserstoff ist vor allem das Mittel der Wahl in den sehr energieintensiven Branchen, in der Stahl- und Glasindustrie und in der Prozesstechnik. Für kleine Bedarfe wie Individualverkehr oder Wohngebäudewärme ist Wasserstofftechnologie nicht wirtschaftlich.“ Weiterer Vorteil: „Wasserstoff kann im Gegensatz zu Strom viel besser langfristig gelagert werden“, so Gemmel. Weil grüner Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge verfügbar ist und die Erschließung einer flächendeckenden Infrastruktur noch Jahre benötigen wird, müsse man unter anderem auf dezentrale Energieproduktion setzen. Pilotprojekte wie die Großbäckerei in Österreich machen vor, wie es gehen könnte.
Über die Holler Landstraße auf den „Highway zum H2“
In der Zwischenzeit hat man in der Region Oldenburg die Gelegenheit, sich von den Vorzügen des Wasserstoffs überzeugen zu lassen. Die Wasserstofftankstelle in Oldenburg wird vom BÄKO-Laster bald täglich angefahren werden. „Beim Lkw haben wir uns übrigens für deutsche Hersteller entschieden“, berichtet Olaf Gemmel – auch wenn die Brennstoffzellen noch aus Südkorea kommen müssen. Dennoch, da war man sich bei der BÄKO einig: Es sollte so viel „Made in Germany“ wie möglich in so einem Lkw stecken. Anstatt auf den Cent zu gucken, wurde der Fokus daraufgelegt, die Strukturen des Standortes und der Region zu stärken. Auch das ist Nachhaltigkeit. „Regional ist erste Wahl“ gilt für die BÄKO offenbar nicht nur bei Dinkel, Erdbeeren und Co., sondern auch in Sachen Technologietransfer.
Im offenen Brief an das BMWK zur strukturellen Behandlung und Lösung der Energiekrise wurde übrigens von den Bäckereiverbänden auch die weitreichende Ausbildung von Klimaprofis unter dem Programm des MITTELSTANDSVERBUNDES gefordert. Die könnten dann den BÄKOs und Großbetrieben ab 75 Filialen mit ihrer Kompetenz bei den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz unter die Arme greifen. Denn der Beratungsbedarf ist riesig und Olaf Gemmel und sein Klimaprofi-Kollege aus der BÄKO-Zentrale in Duisburg zurzeit noch allein. Doch das muss nicht so bleiben. Frei nach dem Motto: Wenn wir nicht genug Klimaprofis haben, müssen wir uns welche backen.
Das Beispiel Engagement der BÄKO Weser-Ems-Mitte zeigt deutlich: Wer in Sachen Technologie die Nase vorn haben will, muss früh aufstehen. Aber da wird den Bäckern ja traditionell eine gewisse Fachkompetenz zugeschrieben.