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Neustart: EU-Kommission legt Arbeitsprogramm vor

Mit dem am 16. Dezember vorgestellten Arbeitsprogramm kündigt die EU-Kommission für das Jahr 2015 vor allem eines an: Alles soll ein wenig anders werden. Die häufig kritisierte Detailverliebtheit der europäischen Gesetzgebung soll eingedämmt werden.

Berlin, 17.12.2014 — In diesem Sinne will sich die EU-Kommission zukünftig nur noch auf die wirklich großen Aufgaben konzentrieren. Als Beweis dafür soll die mit dem Arbeitsprogramm vorgestellte "Streichliste" gelten; Diese enthält 80 Gesetze, die die Kommission – zumindest in der derzeitigen Form – nicht mehr aufrechterhalten möchte.

Mittlerweile ist dem aufmerksamen Beobachter klar, wohin die Reise mit Jean-Claude Juncker und seiner Kommission gehen wird. So überraschten die Zielsetzungen im vorgestellten Arbeitsprogramm der EU-Kommission denn auch kaum. Angekündigt wurde Maßnahmen zur Förderung des Wachstums im EU-Binnenmarkt, Steigerung der Investitionen in der EU sowie Schaffung von Arbeitsplätzen. Soweit so allgemein.

Wirklich neu ist die Ankündigung der Kommission, den Grundsatz der Diskontinuität auch in auf Europäischer Ebene einzuführen. Dieser Grundsatz besteht bereits in der deutschen Gesetzgebung. Er besagt, dass alle Gesetzgebungsakte, die bis zum Ende der Legislaturperiode des Bundestages nicht formell verabschiedet wurden, verfallen. In der EU besteht ein solcher Grundsatz nicht. Dies führt dazu, dass schwierige Dossiers, wie etwa die Richtlinie über den Mutterschutz bereits seit Jahren im Rat verhandelt werden und dort theoretisch auch beliebig lang weiter verhandelt werden können. Die EU-Kommission hat zwar unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, Rechtsakte, die keine Aussicht auf Einigung im Rat oder im Europäischen Parlament haben, wieder zurückzunehmen, von dieser Möglichkeit hat sie jedoch in der Vergangenheit relativ selten Gebrauch gemacht.

Die bereits am Anfang des neuen Arbeitsprogramms stehende Intention der Kommission, ihre Arbeit nur auf die wirklich wichtigen Dossiers zu konzentrieren und dementsprechend Gesetze zurückzunehmen, die keine Aussicht auf Erfolg haben, stellt daher ein absolutes Novum dar.

Im Anhang 2 des Arbeitsprogramms befinden sich dann die Rechtsakte, die die Kommission zurücknehmen möchte. Beindruckend ist bereits die Zahl: 80 Rechtsakte sollen es werden – und das bei rund 450 Rechtskaten, die derzeit im europäischen Gesetzgebungsverfahren hängen. In der "Streichliste" befinden sich auch mittelstandsrelevante Gesetze:

  • Allen voran ist hierbei die Mutterschutzrichtlinie zu nennen. Diese wurde bereits 2008 von der Europäischen Kommission vorgestellt. Das EU-Parlament nahm seine Entschließung hierzu im Oktober 2010 an. Seitdem hängt das Dossier im Rat der EU - eine Einigung ist bislang nicht realistisch. Die Kommission gibt dem Dossier daher noch eine letzte Chance: In den kommenden sechs Monaten hat die anstehende lettische Ratspräsidentschaft Gelegenheit, eine entsprechende Einigung im Rat zu erzielen. Bleiben die Verhandlungen ergebnislos, wird die Kommission den Rechtsakt zurücknehmen. Gleichzeitig soll ein neuer Vorschlag zum Mutterschutz vorgelegt werden.
  • Weiterhin soll der Verodnungsvorschlag über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zurück genommen werden. Nachdem sich das Europäische Parlament Anfang 2014 auf eine Entschließung einigen konnte, stieß das Dossier auf erheblichen Widerstand im Rat. Die Kommission möchte das Dossiert daher zurückziehen und einen neuen Vorschlag unterbreiten. Dieser soll vor allem den E-Commerce im digitalen Binnenmarkt fördern.
  • Gänzlich gestrichen werden soll der Vorschlag über die Überarbeitung der Öko-Label-Verordnung. Diese trat vor rund sieben Jahren in Kraft. Die Kommission hatte Anfang 2014 einen Vorschlag zur Verschärfung der bestehenden Kennzeichnungsregeln vorgelegt. Dieser stieß im federführenden Agrarausschuss im Parlament auf großen Widerstand. Auch der lebensmittelproduzierende Sektor bezweifelte die Sinnhaftigkeit des Kommissionsvorschlags.

Die Vorstellung der Kommission von Diskontinuität unterscheidet sich in zwei Punkten von dem deutschen verfassungsrechtlichen Verständnis. Zum einem verfallen europäische Gesetzesvorschläge nicht automatisch, wenn die neue Legislatur des EU-Parlaments beginnt. Es soll auch nach dem neuen Arbeitsprogramm weiterhin im Ermessen der Kommission liegen, welche Rechtsakte sie zurücknimmt. Zum anderen zeigen die obigen Beispiele, dass die Kommission weiterhin an früheren Gesetzesvorhaben festhält, diese nunmehr jedoch an die Positionen im Rat und Europäischen Parlament anpassen möchte.

Als Ausblick auf das kommende Jahr enthält das Arbeitsprogramm weiterhin eine Liste mit 23 neuen Legislativvorschlägen, die 2015 vorgestellt werden sollen.

  • Zur Förderung des EU-Investitionspakets wird die Kommission legislative Folgemaßnahmen erarbeiten.
  • Zudem soll ein Maßnahmenpaket vorgestellt werden, um vor allem junge Arbeitslose und Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen.
  • Wie bereits von der Kommissarin für Arbeit, Marianne Thyssen, angekündigt, möchte die Kommission mit einem neuen Legislativpaket die Mobilität von Arbeitskräften in der EU fördern.
  • Im Bereich des digitalen Binnenmarkts soll der Zugang von Verbrauchern zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen verbessert und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Firmen sowie die Grundlagen für eine dynamische digitale Wirtschaft und Gesellschaft geschaffen werden.
  • Die Europäische Energieunion soll einen strategischen Rahmen erhalten.
  • Weiterhin möchte die Kommission eine Strategie zum Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen mit besonderem Fokus auf KMU vorstellen. Hierbei soll vor allem die gegenseitige Anerkennung und Standardisierung von Waren und Dienstleistungen im Fokus stehen.
  • Schließlich soll eine rechtliche Grundlage zum Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden erarbeitet werden.

Insgesamt begrüßt DER MITTELSTANDSVERBUND den neuen Ansatz der EU-Kommission. Trotzdem wird der Spitzenverband des kooperierenden Mittelstandes die anstehenden Gesetzesinitiativen auf ihre Mittelstandstauglichkeit hin überprüfen. "Die Rücknahme und teilweise Neuauflage schlecht laufender Dossiers darf nicht zu einem Nullsummenspiel werden, sondern muss den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Gegebenheiten entsprechen", erklärt der Referatsleiter des MITTELSTANDSVERBUND-Büros in Brüssel, Tim Geier.


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