Kommissions-Matrix: von der Leyen stellt neues Kollegium vor
Mit der Vorstellung Ihres neuen Kollegiums geht Kommissionspräsidentin von der Leyen neue Wege. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer der Auswahl? Welche sind die wichtigsten Kommissare für den Mittelstand? Wie lässt sich die Kandidatenliste bewerten? DER MITTELSTANDSVERBUND klärt für Sie auf.
Brüssel, 23. 09. 2024 - Mit einer Woche Verspätung hat die unlängst wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen im Rahmen einer Pressekonferenz ihre Kandidatenauswahl für das künftige Kommissionskollegium bekannt gegeben. Die Zusammenstellung der Kommission stellt zu Beginn jeder neuen Amtszeit ein Politikum dar, da jeder der 27 Mitgliedstaaten über einen Posten im Kollegium zufriedengestellt werden muss.
Die neue Organisationsstruktur
Auffällig an der neuen Kommission ist vor allem die neue Organisationsstruktur, die von der Leyen in ihrem Kabinett etablieren möchte und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Generaldirektionen abzielt. So werden künftig sechs, direkt der Chefkommissarin unterstellte Exekutiv-Vizepräsidenten zusätzlich zu ihren Verantwortungsbereichen die übergreifende Koordination mehrerer Portfolios übernehmen. Hierdurch soll eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen sich überschneidenden Aufgabenbereichen gewährleistet werden, statt wie zuvor in klar voneinander getrennten Feldern zu arbeiten.
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Die Gewinner und Verlierer
Darüber hinaus lassen sich bereits jetzt erste Gewinner und Verlierer im Zuge der Kandidatenkür von der Leyens festmachen. Zu den Gewinnern gehören etwa
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Frauen:
Zwar wurde das ausgewiesene Ziel einer paritätisch besetzten Kommission verfehlt, allerdings sind mit 40% nun deutlich mehr Frauen im Berlaymont vertreten als in der vorausgegangenen Amtszeit (22%). Insbesondere von den sechs neugeschaffenen und mächtigen Exekutiv-Vize-Präsidentinnen-Posten gingen vier an weibliche Kommissarinnen. -
Teresa Ribera:
In ihrer Funktion als Exekutiv-Vizepräsidentin hat die Sozialistin Teresa Ribera einen klaren Auftrag: Die ehemalige Umweltministerin Spaniens soll das Gesicht des Europäischen Green Deals werden und die Aspekte Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit stärker miteinander verknüpfen. Aus diesem Grund soll Sie das begehrte Portfolio „Wettbewerbspolitik“ zufallen - Ein großer Sprung aus dem Stand für die Kommissions-Debütantin. -
Italien:
„Die Bedeutung Italiens spiegelt sich in dem Ressort wider, das dem Land übertragen wurde.“ So verteidigte von der Leyen am Dienstag die Nominierung von Raffaele Fitto für die Akte „Kohäsion und Reformen“. Insbesondere im sozialdemokratischen und grünen Lager sorgte die Ernennung des Politikers der rechtsextremen Fratelli d’Italia zu einem der Exekutiv-Vizepräsidenten für Empörung – zumal die Meloni-Parteigenossen noch im Juli geschlossen gegen die Wiederwahl von der Leyens votierten. -
Von der Leyen:
Die Chefkommissarin hat es mittels kreativer Ressortvergabe geschafft, (fast) alle Staaten und auch die EVP als Gewinner dastehen zu lassen. Zudem sind mit Charles Michel im Rat (Präsident des Europäischen Rates, seine zweite Amtszeit endet im November 2024) und Thierry Breton in der Kommission (hat kurz vor Veröffentlichung des Kommission-Kollegiums sein Amt niedergelegt) zwei starke Persönlichkeiten und Widersacher verschwunden. Dies könnte ihr in Brüssel eine nie dagewesene Machtstellung einräumen.
Doch auch Verlierer hat von der Leyens Auswahl hervorgebracht. Hierzu gehören
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Thierry Breton:
Seine Auswechslung durch Stéphane Séjourné erfolgte relativ geräuschlos und ohne (wahrscheinlich von Breton erwartete) Empörung durch Frankreichs Präsidenten Macron. -
Frankreich:
Doch auch Frankreich geht wohl als Verlierer aus dem Machtkampf hervor: Berichten zufolge bot von der Leyen Macron eine bessere Position im Kollegium im Gegenzug zu Bretons Auswechslung an. Séjournés neues Portfolio kann mit Bretons Machtfülle jedoch nicht mithalten – er kontrolliert weniger Ressorts und verliert überdies das begehrte Wettbewerbsressort an Ribera.
Die wichtigsten Kommissare für den Mittelstand im Überblick
Teresa Ribera:
Die 55-jährige Spanierin ist die neue Exekutiv-Vizepräsidentin für einen „sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Übergang“ Im Rahmen dessen soll sie bestehende Rahmenbedingungen zur Erreichung der Klimaziele für 2030 umsetzen und dabei mit anderen Generaldirektionen eng zusammenarbeiten.
Hierzu gehört etwa die Entwicklung einer neuen grünen Industriestrategie mit dem französischen Kommissionskollegen, oder die Umsetzung einer zirkulären Wirtschaft zusammen mit der zugehörigen Amtskollegin aus Schweden.
Der neue Ansatz sieht auch vor, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz als ein zusammenhängendes Konzept zu betrachten. Zu ihren Aufgaben gehört es daher, eine neue Wettbewerbspolitik zu konzipieren, die den Unternehmen hilft, weltweit erfolgreich zu sein, und gleichzeitig die Vorteile eines wirksamen Wettbewerbs für Verbraucher und Unternehmen sicherstellt.
Ziel ist es, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und Investitionen sowie Innovationen zu fördern. Ein besonderes Augenmerkt soll dabei auf KMU im Hinblick auf Übernahmen durch ausländische Unternehmen liegen.
Stéphane Séjourné:
Der Nachfolger von Thierry Breton ist der neue Exekutiv-Vizepräsident für „Prosperität und Industriestrategie“ und ist neben Industriethemen auch für die Bereiche Binnenmarkt und KMU verantwortlich.
Eine seiner Kernaufgaben besteht darin, mit Ribera eine neue Industriestrategie vorzustellen, die eine bessere Koordination, mehr Investitionen und Innovationen und eine effektivere Nutzung des Binnenmarktes vorsieht.
Darüber hinaus soll der Franzose eine „horizontale Binnenmarktstrategie“ entwerfen mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Warenverkehr zu modernisieren und zu vertiefen.
Zudem ist Séjourné damit beauftragt, den Zugang zu Finanzmitteln für KMU zu erleichtern. Nicht zuletzt soll mit „small midcaps“ eine neue Kategorie an Unternehmen eingeführt werden, deren Belastung durch Bürokratie gegebenenfalls abgemildert wird.
Valdis Dombrovkis
In der letzten Legislaturperiode noch Vizepräsident, wurde der erfahrene lettische Kommissar nun zu einem „einfachen“ Kommissar degradiert. Seine Rolle ist für den Mittelstand jedoch umso bedeutsamer: So gehört zum Aufgabenbereich des Kommissars die Entschlackung des europäischen Acquis. Im Rahmen dessen soll er gemeinsam mit seinen Kommissionskollegen Stellen identifizieren, in denen eine Vereinfachung und Konsolidierung der europäischen Gesetzgebung erforderlich ist.
Darüber hinaus soll Dombrovkis in enger Koordination mit relevanten Stakeholdern Vorschläge erarbeiten, wie Berichtspflichten und sonstige Verwaltungsaufwände reduziert werden können. Nicht zuletzt ist es seine Aufgabe, die Umsetzung der seit Jahren versprochenen „Better Regulation“-Richtlinie zu überwachen - hierzu gehört auch die konsequente Umsetzung der „One in - One out“-Regel in der Brüsseler Gesetzgebung.
Christophe Hansen
Die Aufgabe des Luxemburger Kandidaten ist klar: Die Stärkung des Agrarsektors wird eines seiner Hauptaufgaben in der kommenden Legislatur sein. Im Fokus dabei steht nach von der Leyen die Gewährleistung eines fairen und ausreichenden Einkommens der Landwirte.
Eine Revision der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist daher gesetzt. Ein Fokus dabei: Ein mögliches Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. Diskussionen über Vertragsfreiheit und weitere Maßnahmen zur Stärkung der Primärproduktion sind daher in nächster Zeit zu erwarten.
Maroš Šefčovič
Šefčovič ist ein echter EU-Veteran: Bereits 2009 stand er als Kommissar für allgemeine und berufliche Bildung unter Barroso in seiner ersten Amtszeit und bekleidete danach unterschiedliche Posten in der Europäischen Kommission. Nun soll er als Kommissar für interinstitutionelle Beziehungen und Transparenz die von der Leyen II Kommission unterstützen. Šefčovič soll auch den Außenhandel sowie internationale Handelsbeziehungen verantw orten.
Im Rahmen dieser Kompetenz fällt ihm auch der Themenbereich „Zoll“ sowie die damit verbundenen Plattform-Thematiken zu; So soll Šefčovič für eine konsequente Einhaltung aller europäischen Produktvorschriften von Importen aus Drittstaaten sorgen und die Regeln über Zolltarife auf Nachhaltigkeits-Gesichtspunkte untersuchen.
Michael McGrath
Der irische Kandidat für die Europäische Kommission soll zukünftig den Bereich Justiz verantworten. In diesem Zusammen hang gab von der Leyen den Auftrag an McGrath, ein Level- Playing Field im Bereich der Plattform-Ökonomie zu schaff en – gemeint sein, dürfte dabei insbesondere eine schä r fere Kontrolle des Verhaltens von Plattformen wie Temu und Shein . Weiterhin ist McGrath auch beauftragt, unlautere Handelspraktiken auf Plattformen zu bekämpfen und den Verbraucherschutz um einen Digital Fairness Act zu ergänzen.
Bewertung: Draghi-Warnungen verhallen nicht, Handel jedoch unsichtbar
Dass von der Leyen die Besetzung ihres 26-köpfigen Kollegiums ohne größere Geräuschkulisse gelungen ist, stellt in Anbetracht rückkehrender nationaler Egoismen in Europa einen großen politischen Erfolg dar. Insbesondere die Schaffung eines Ressorts für die Vereinfachung des europäischen Acquis und den Bürokratieabbau zeigt, dass die Warnungen, die nicht zuletzt auch Draghi in seinem Bericht geäußert hat, in Brüssel nicht verhallen.
Angesichts der neuen Zuschnitte der Europäischen Kommission ist es jedoch verwunderlich, dass nachgelagerte Stufen der Wertschöpfung – allen voran Groß- und Einzelhandel - in keinem der Portfolios eine Priorität zu sein scheinen.
Die aktuellen Herausforderungen vieler Verbundgruppen in Europa, wie die digitale und ökologische Transformation, können nur durch ein koordiniertes europäisches Vorgehen erfolgreich bewältigt werden. Fahrlässig für einen Sektor, der mit einem Anteil von knapp 5% erwirtschafteter Wertschöpfung an der EU-Wirtschaft den zweitgrößten Dienstleistungssektor der Union darstellt.
Positiv ist die Weiterführung des Abbaus bürokratischer Lasten zu werten. Fraglich bleibt hingegen, warum dieser Auftrag nicht einem Vize-Präsidenten mit Ressort-übergreifenden Zuständigkeit zugeteilt wurde.
Wie geht es jetzt weiter?
Nachdem die Auswahl der Kandidaten für die neue Kommission bekannt ist, ist es jetzt am Parlament, diese zu befragen und zu bestätigen. Die Anhörung diesbezüglich wurden ursprünglich bereits für Oktober und November angesetzt, könnten sich jedoch bis zum 1. Dezember ziehen.
Sobald das Kollegium bestätigt ist, kann es sich dem Fahrplan für die ersten 100 Tage widmen, der bereits seit Juli steht. So soll sich der französische Kommissar Séjourné etwa der neuen grünen Industriestrategie widmen, die das ambitionierte Ziel verfolgt, 90% der Industrie-Emissionen zu reduzieren.
Dombrovkis wird damit beauftragt „business easier“ für Unternehmen zu gestalten, indem er gemeinsam mit der Kollegin Ribera an einer neuen Wettbewerbspolitik arbeitet und zugleich einen KMU-Wettbewerbscheck einführt, um den Verwaltungsaufwand für Unternehmen zu schmälern.
Diese wird zugleich am „Circular Economy Act“ arbeiten, der den Übergang zu einer zirkulären Wirtschaft ermöglichen soll.