Neue Strategische Agenda für die EU

Ende Juni einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf die politischen Zielvorstellungen der Union für die kommenden Jahre. Der Fokus liegt auf den Themenbereichen Demokratie, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit. Die neue strategische Agenda bietet vielversprechende Ansätze für den Mittelstand – gerade im Hinblick auf den Abbau bürokratischer Lasten im Rahmen des Green Deals. Ob sich die anderen europäischen Gesetzgeber in der nächsten Legislatur in diesem vorgeschlagenen Handlungsrahmen bewegen werden, bleibt abzuwarten.

Brüssel, 03.07.2024 – Während sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Fraktionen und Ausschüssen organisieren und die ungarische Ratspräsidentschaft Gestalt annimmt, bleibt auch der Europäische Rat nicht untätig. So legten die Staats- und Regierungschefs am 27. Juni die Kernpunkte der zukünftigen Ausrichtung der Europäischen Union fest. Nach dem Vertrag von Lissabon ist der Europäische Rat dazu ermächtigt, alle fünf Jahre die „generelle politische Richtung“ der EU vorzugeben – dies ist nun mit der Einigung auf eine Strategische Agenda für die Jahre 2024 - 2029 geschehen.

Im Vorwort des Papiers heißt es, dass die Positionierung Europas vor dem Hintergrund globaler politischer Herausforderungen erfolgt. Hierzu zählen ein strategischer Wettbewerb mit systemischen Rivalen, eine zunehmende globale und institutionelle Instabilität sowie immer offenkundiger werdende Schäden durch den Klimawandel. Die Antwort hierauf liege demnach insbesondere in der Stärkung dreier Säulen: einem freien und demokratischen Europa, einem sicheren und starken Europa sowie einem prosperierenden und kompetitiven Europa.

Ein freies und demokratisches Europa

Unsere Werte sind unsere Stärke – so lautet das Argument für die Pflicht der Bewahrung europäischer Grundwerte. Als solche macht das Papier neben der Menschenwürde, Freiheit und Demokratie ebenso die Rechtsstaatlichkeit aus, was wohl unter anderem an autokratische Fliehkräfte innerhalb der Union gerichtet ist (Ungarn veröffentlichte letzte Woche das Ratsprogramm für die kommenden sechs Monate). Diese Grundwerte solle die Union auch weiterhin global projizieren und dies unter anderem durch ihr weltweites Einstehen für Demokratie, Frieden und Menschenrechte gewährleisten. An dieser Stelle ist ein hohes Maß an Kontinuität zur Positionierung der vergangenen Legislatur zu erkennen, wo der Europäische Rat in der damaligen strategischen Agenda die „Förderung der Interessen Europas in der Welt“ priorisierte. Dieses Vorhaben manifestierte unter anderem durch eine Erweiterung der strategischen Partnerschaft mit der Afrikanischen Union oder Projekten der externen Demokratieförderung, etwa in Moldawien.

Ein starkes und sicheres Europa

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA stellen zwei wesentliche Gründe dar, die Parameter europäischer Außen- und Verteidigungspolitik neu auszurichten. Dies erkennt auch die strategische Ausrichtung des Europäischen Rates, die eine „substanzielle“ Stärkung gemeinsamer militärischer Fähigkeiten, eine verbesserte Interoperabilität europäischer Streitkräfte, sowie eine grundsätzliche verbesserte Verteidigungsbereitschaft der Mitgliedstaaten fordert. Allerdings wird deutlich, dass sich hier die deutsche sicherheitspolitische Position durchgesetzt hat: Die strategische Ausrichtung erwähnt explizit das transatlantische Verteidigungsbündnis als den Grundpfeiler der kollektiven Verteidigung der NATO-Mitgliedstaaten.

Unter dem Aspekt Sicherheit verortet das Papier zudem die Themen Migration und Grenzsicherung. Eine Voraussetzung für die Gewährleistung von Sicherheit und Recht und Ordnung sei die Erfüllung geteilter Verpflichtungen, die den Schutz der EU-Außengrenzen beinhalten. Des Weiteren sollen Herausforderungen der irregulären Migration insbesondere durch den Ansatz partnerschaftlicher Abkommen mit Transit- und Herkunftsländern den Herausforderungen der irregulären Migration nachhaltig begegnet werden.

Teil der Vision eines starken Europas ist auch die europäische Erweiterungspolitik, die mit einem „belohnungsorientierten Ansatz“ fortgesetzt werden soll. Demnach wird die Beitrittsperspektive eines Kandidaten von dessen Fortschritten in der Umsetzung der europäischen Beitrittskriterien abhängig gemacht. Auf der anderen Seite werden die Beschlüsse des Gipfeltreffens des Europäischen Rates reflektiert, indem institutionelle Reformen im Dokument gefordert werden. Diese sollen sicherstellen, dass die institutionelle Funktionsfähigkeit der Union auch nach einer Erweiterung gewährleistet werden kann.

Ein prosperierendes und kompetitives Europa

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken und das ökonomische Wohlbefinden seiner Bürgerinnen und Bürger zu sichern, sei eine der zentralen Aufgaben der Union, befindet die strategische Agenda des Europäischen Rates. Aus diesem Grund müsse Europa zu einem technologischen und industriellen „Powerhouse“ gemacht werden, was wiederum private und öffentliche Geldflüsse erfordere. Hierzu fordert das Papier eine stärkere Einbindung der Europäischen Investitionsbank (EIB) sowie eine beschleunigte Vollendung des fragmentierten Europäischen Kapitalmarktes, der allen EU-Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zugänglich gemacht werden soll.

Zudem soll der Übergang zu einer grünen und digitalen Zukunft geebnet und hieraus entstehendes Potenzial zur Erschließung neuer Märkte sowie zur Schaffung hochqualifizierter Jobs genutzt werden. Interessant ist hier, dass die ökologische Transition im Gegensatz zur vergangenen Agenda keinen Selbstzweck darstellt, sondern im Kontext einer ganzheitlichen Strategie erfolgen soll. Ziel muss es demnach sein, eine unabhängige und saubere Energieversorgung zu garantieren, den Lebensstandard und die Kaufkraft von EU-Bürgerinnen und Bürgern zu erhöhen und sich dabei gleichzeitig gegenüber dem internationalen Wettbewerb zu positionieren.

Dazu gehöre auch, ein innovationsförderndes und planbares Umfeld für Unternehmen zu schaffen. Dies heiße insbesondere, unnötige bürokratische Hürden zu beseitigen und die Erfüllung administrativer Pflichten auf digitalem Wege zu ermöglichen. Hierdurch soll sich auch die Attraktivität des europäischen Standortes für Investitionen erhöhen. Die Staats- und Rergierungschefs verpflichten sich im Dokument überdies der „Better Regulation“-Agenda, was insbesondere den Bedürfnissen kleiner und mittlerer Unternehmen entgegenkommen soll.

Einschätzung des MITTELSTANDSVERBUNDES

Die strategische Agenda stellt zwar kein rechtsverbindliches Dokument für die kommende Legislaturperiode der drei europäischen Gesetzgeber dar, dennoch fasst sie die obersten Prioritäten der Regierungen wie in einem Brennglas zusammen. „Es ist erfreulich zu sehen, dass die Positionen des Mittelstands bei den Staats- und Regierungschefs angekommen sind. Nachhaltigkeit bedeutet, Unternehmen eine Chance zu bieten, und nicht, sie mit Bürokratie zu überfordern. Die neue strategische Agenda stellt zwar keinen Paradigmenwechsel dar – geht aber einen Schritt in die richtige Richtung.“ meint daher auch Tim Geier, Geschäftsführer des Brüsseler Büros im MITTELSTANDSVERBUND. Überhaupt sei es wichtig, Demokratie, Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit als drei Seiten derselben Medaille zu begreifen, sagt Geier: „Damit unsere europäischen Werte nach außen hin Glaubwürdigkeit haben, müssen wir zunächst zeigen, dass wir im Rahmen dieses Systems auch vernünftig und planbar wirtschaften können. Unsere wirtschaftliche Stärke hat Europa immer sichtbar gemacht – wir müssen nun alles dafür tun, den Standort für Unternehmen wieder attraktiver zu gestalten.“

Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Kommission wiederum ihre Prioritäten für die nächste Amtszeit vorlegt. Noch in diesem Monat wird das Parlament über die vom Europäischen Rat für das Amt der Kommissionspräsidentin vorgeschlagene Ursula von der Leyen abstimmen, bevor im Herbst die einzelnen Kommissionsposten vorgeschlagen und besetzt werden.

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