Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft veröffentlicht

Am 25. Juni veröffentlichte Budapest das Programm seiner Ratspräsidentschaft, welches am 1. Juli begonnen hat. Die überwiegende Mehrheit der ungarischen Positionen entspricht der groben Marschrichtung der Europäischen Union. Dennoch lassen sich vereinzelt Hinweise auf die Handschrift von Staatschef Viktor Orbán ausmachen. DER MITTELSTANDSVERBUND fasst für Sie zusammen.

Brüssel, der 27.06.2024 - „Make European Great Again“ lautet also das Motto der kommenden sechs Monate der ungarischen Ratspräsidentschaft, die ab dem 1. Juli beginnt. Dass dieser Spruch mit dem amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump in Verbindung gebracht wird, dürfte in Brüssel niemanden überraschen – der ungarische Staatschef Viktor Orbán gilt als großer Anhänger des zuletzt strafrechtlich verurteilten US-Republikaners. Doch wie viel Trump-Isolationismus steckt im Programm? Und wie groß ist die Handschrift des EU-Sorgenkinds Ungarn, dessen Probleme in Puncto Rechtstaatlichkeit und Russlandnähe bereits des Öfteren für Reibungspotenzial innerhalb der Union sorgten?

EU-Parlament in Brüssel

Ungarische Ratspräsidentschaft – was bedeutet das?

Als am 16. Juni das Programm durch den Minister für Europäische Angelegenheiten János Bóka sowie Zoltán Kovács, Regierungsbeauftragter für die ungarische Ratspräsidentschaft in Budapest vorstellten, dürfte das Aufatmen in Brüssel hörbar gewesen sein. So wird Russland in dem aktuellen Konflikt als Aggressor dargestellt, auch Israel habe laut Programm ein Recht auf Selbstverteidigung. Zudem wird der Kampf gegen den Klimawandel als eine der zentralen Herausforderungen der ungarischen Ratspräsidentschaft akzeptiert, die Erweiterung der Union als eine ihrer erfolgreichsten Politiken dargestellt und auch ein stärkerer Minderheitenschutz, vor allem in Bezug auf Jüdinnen und Juden in Europa, eingefordert. Somit können zumindest die schlimmsten Befürchtungen angesichts der ungarischen Ratspräsidentschaft abgeräumt werden.

Welche Bedeutung hat eine Ratspräsidentschaft für Europa?

Der Rat der Europäischen Union ist als einer der drei Europäischen Gesetzgeber wesentlich für die Politikfindung und Ausdruck der verbleibenden Kompetenz der Mitgliedstaaten. Abhängig von dem entsprechenden „Ressort“ treffen sich die Minister der Mitgliedstaaten, um eine gemeinsame Position der Mitgliedstaaten im Gesetzesprozess zu ermitteln. Es gilt das Rotationsprinzip, d.h. alle sechs Monate wechseln die Minister und Delegationen am Tisch gegen den Uhrzeigersinn. Der Staat, dessen Delegation am Kopfende des Tisches sitzt, hat für diesen Zeitraum den Vorsitz des Rates inne.

Das sind die Aufgaben des Ratsvorsitzes im Wesentlichen:

  •  die Tagungen der Ratsformationen zu organisieren und zu leiten
  •  bei Problemen innerhalb des Rates oder zwischen den EU-Institutionen Kompromisse herauszuarbeiten
  •  den Rat gegenüber anderen Institutionen der Union oder Drittstaaten zu vertreten

Zwar können die „Ratspräsidenten“ keine eigene Politik durchsetzen, jedoch besteht durchaus die Möglichkeit, auf Themen in Form von Schwerpunktsetzungen in den Tagesordnungen Einfluss zu nehmen. Aufgrund der verhältnismäßig späten Veröffentlichung des ungarischen Programms wurden vereinzelt Befürchtungen geäußert, der Rat könne durch selektives Agenda-Setting regelrecht blockiert werden. Auch in der Vertretung des Rates verhandelt der Vorsitz zwar auf Grundlage eines Mandats durch die anderen Mitgliedstaaten, allerdings können auch hier durch eine geschickte Verhandlungsführung eigene Positionen grundsätzlich eine stärkere Gewichtung finden.

Das ungarische Programm im Detail

Das Vorwort des Programms sieht die Union aufgrund einer Reihe von geopolitischen Herausforderungen unter Zugzwang. Im Lichte dieser Probleme, zu denen unter anderem eine fragile Sicherheitsarchitektur in Europa, die illegale Migration sowie die Auswirkungen des Klimawandels gehören, sei das ungarische Programm zu lesen und zu bewerten. Im Fokus des Programms stehen nach Einschätzung des MITTELSTANDSVERBUNDS folgende Punkte (aufgeteilt nach Ratszusammensetzung):

Rat für Allgemeine Angelegenheiten

Ziel: Gewährleistung eines reibungslosen institutionellen Übergangs inbs. durch die Verankerung des Mehrjährigen Finanzrahmens („EU-Budget“) 2024-2027.

  •  Maßnahmen zur Überwindung der regionalen Disparitäten bzw. Sicherung ökonomischer, sozialer und territorialer Kohäsion für strukturell schwache Regionen
  •  Maßnahmen zur Verstärkung des Schutzes gegen ausländische Wahlmanipulation
  •  Maßnahmen zur Erhöhung der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im institutionellen Gefüge der Union
  •  Maßnahmen zur Stützung des EU-Erweiterungskurses unter dem Vorbehalt, dass diese „leistungsorientiert“ gestaltet sein sollen
  •  Maßnahmen zur Stärkung des Minderheitenschutzes und gegen Antisemitismus

Rat für Wettbewerbsfähigkeit

Ziel: Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und der Produktivität sowie Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Union.

  •  Maßnahmen zur Förderung der digitalen Transition
  •  Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes im Sinne des Letta-Reports
  •  Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz von KMU gegenüber Krisen durch etwa Reduzierung bürokratischer Bürden sowie Verbesserung der Qualität einschlägiger Richtlinien

Rat für Wirtschaft und Finanzen

Ziel: Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Wirtschaft.

  •  Maßnahmen zur Zugangserleichterung für KMU zu Finanzmitteln sowie zum Abbau von Bürokratie
  •  Maßnahmen, welche die Steuerflucht von Unternehmen adressieren
  •  Maßnahmen, die es dem EU-Haushalt ermöglichen, eigene Finanzmittel zu beschaffen

Rat für Auswärtige Angelegenheiten

Ziel: Stärkung der Rolle der EU als globaler Akteur.

  •  Maßnahmen, welche darauf abzielen, illegale Migration lokal zu bekämpfen – hierzu gehören etwa eine Ausweitung der „strategischen Partnerschaft“ mit Ländern der Sahelzone sowie den Ursprungsländern
  •  Maßnahmen zur Unterstützung des EU-Erweiterungskurses unter dem Vorbehalt, dass diese „leistungsorientiert“ gestaltet sind, hier u.a. Intensivierung der Gespräche mit den Staaten des Westbalkans
  •  Maßnahmen zur Unterstützung der Position der Union zugunsten der territorialen Integrität der Ukraine
  •  Ausbau des konstruktiven Dialogs mit China
  •  Maßnahmen zur Verstärkung der europäischen Verteidigungspolitik u.a. durch gemeinsame Beschaffung und Zusammenarbeit in militärischen und technologischen Fähigkeiten

Rat für Justiz und Inneres

  •  Maßnahmen zur Überarbeitung des europäischen Asylrechts
  •  Maßnahmen zur Einführung effektiver Abschiebemechanismen

Rat für Landwirtschaft und Fischerei

Ziel: Eine vor allem auf Landwirte ausgerichtete Agrarpolitik, die die langfristige Sicherung der Lebensmittelunabhängigkeit im Sinne der strategischen Autonomie der EU anstrebt.

  • Maßnahmen zur Erweiterung der Richtlinie über Territoriale Lieferbeschränkungen (UTP - "unfairtradingpractices")

Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz

Ziel: Die Adressierung demografischer Herausforderungen wie den Fachkräftemangel, nicht nachhaltige Sozialsysteme oder die alternde Bevölkerung Europas.

  •  Maßnahmen, die bisher unangetastetes Potenzial an Arbeitskraft innerhalb der Union nutzen sollen

Bewertung: ungarische Position ist vereinzelt erkennbar

Auch wenn sich die schlimmsten Befürchtungen einer ungarischen Ratspräsidentschaft (glücklicherweise) nicht bewahrheitet haben, ist die Handschrift des Autokraten Viktor Orbán neben dem unverhohlenen Kokettieren mit Trump-Rhetorik an einigen Stellen doch deutlich zu erkennen.

So kann es durchaus als Diskreditierung der Union verstanden werden, wenn das Programm offen Maßnahmen zur Überprüfung der interinstitutionellen Rechtsstaatlichkeit einfordert. Erst letzte Woche wurde Ungarn vom EuGH (der Europäische Gerichtshof ) zu einer Geldstrafe von 200 Millionen Euro verurteilt, weil es das EU-Asylrecht missbraucht hatte. Auch will Ungarn zukünftige Politikmaßnahmen im Lichte des Art. 17 des EU-Vertragsrechts auslegen lassen. Dieser wurde zur Sicherung der konfessionellen Freiheit der nationalen Verfassungen konzipiert, könnte allerdings von Ungarn zur Betonung der „christlichen Identität“ Europas missbraucht werden.

Auch wird den Befürchtungen derer Vorschub geleistet, die während der ungarischen Präsidentschaft eine Beitrittsblockade der Ukraine erwartet haben - Ungarn hatte den Beitrittsprozess zuvor bereits zeitweise durch ein Veto blockiert. Zwar betont das Programm die große Bedeutung der Erweiterungspolitik für die Europäische Union, jedoch nicht im Zusammenhang mit der Ukraine. Dies kontrastiert das Programm der zurückliegenden belgischen Ratspräsidentschaft, die versucht hatte, das Beitrittsgesuch der Ukraine voranzutreiben.

Dennoch sorgt das Programm durch die inhaltliche Kohärenz in den meisten Punkten für Erleichterung beim MITTELSTANDSVEBRUND. Tim Geier, Geschäftsführer Brüssel meint daher:
„Es ist positiv zu bewerten, dass der ungarische Vorsitz um eine gewisse Kontinuität in der inhaltlichen Ausrichtung des Rates bemüht ist und sich der europäische Gedanke offenkundig durchgesetzt hat. Mehr denn je ist der Mittelstand in Europa darauf angewiesen, die Vorteile der Zusammenarbeit im Binnenmarkt für sich zu entdecken und sich gegenüber dem internationalen Wettbewerb zu positionieren. Hierzu gehört auch ein konsequenter Abbau der bürokratischen Lasten.“

Die ungarische Ratspräsidentschaft wird bis Ende des Jahres bestehen, darauf folgen Polen im ersten Halbjahr sowie Dänemark im zweiten Halbjahr 2025.

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