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Territoriale Lieferbeschränkungen: EU-Kommission verhängt Millionen-Bußgeld gegen US-Lebensmittelriesen und stärkt so den europäischen Beschaffungsmarkt

Wegen künstlich verteuerten Produkten verhängt die Europäische Kommission eine Millionenstrafe gegen den Hersteller Mondelēz. Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der wichtige Weichen für eine Stärkung des europäischen Binnenmarktes gestellt werden könnten.

Brüssel, 23.05.2023 – Eigentlich sollte ganz Brüssel derzeit im Wahlmodus sein. In nicht einmal zwei Wochen stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an, die Kommission sollte noch einige Punkte abarbeiten, nur der Rat arbeitet unverändert an den letzten Vorschlägen der von der Leyen-Kommission – sollte man zumindest meinen. Denn: Zum einen nimmt die Kommission ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge weiterhin ernst und zum anderen laufen die Vorarbeiten einiger relevanter Dossiers für die kommende Kommission auf Hochtouren.

So verwundert es auch nicht, dass die Generaldirektion Wettbewerb jüngst eine interessante Entscheidung erlassen hat: Das US-Unternehmen Mondelēz International, Inc. (Mondelēz) hat den grenzüberschreitenden Handel mit Schokolade, Keksen und Kaffeeprodukten zwischen Mitgliedstaaten behindert und damit gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen. Deshalb hat die EU-Kommission gegen den weltweit größten Hersteller von Schokolade- und Keksprodukten eine Geldbuße in Höhe von 337,5 Millionen Euro verhängt. Mondelēz hat unter anderem seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, indem es sich weigerte, einen Makler in Deutschland zu beliefern, um den Weiterverkauf von Tafelschokolade nach Belgien, Bulgarien, Österreich und Rumänien zu verhindern, wo die Preise dieser Produkte höher waren.

Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager, zuständig für Wettbewerbspolitik, sagte: „Die Lebensmittelpreise sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich hoch. Der Handel im Binnenmarkt über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg kann zu niedrigeren Preisen und zu einem größeren Produktangebot für die Verbraucher beitragen. Dies ist in Zeiten hoher Inflation besonders wichtig. In dem heutigen Beschluss stellen wir fest, dass Mondelēz auf rechtswidrige Weise grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb der EU eingeschränkt hat. Damit bezweckte das Unternehmen, die Preise für seine Produkte hoch zu halten, was für die Verbraucher von Nachteil war. Deshalb haben wir eine Geldbuße in Höhe von 337,5 Millionen Euro gegen Mondelēz verhängt.“ 

Die Gründe der Entscheidung

Die Kommission stellte fest, dass Mondelēz im Rahmen von insgesamt 22 wettbewerbswidrigen Vereinbarungen bzw. abgestimmten Verhaltensweisen gegen Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen hat:

  • Mondelēz beschränkte die Gebiete oder Kunden, an die sieben Großhändler (im Folgenden Händler oder auch „Makler“) die Produkte von Mondelēz weiterverkaufen durften. Eine Vereinbarung enthielt auch eine Bestimmung, mit der der Kunde von Mondelēz angewiesen wurde, für ausgeführte Produkte höhere Preise zu verlangen als für Inlandsverkäufe. Diese Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen kamen im Zeitraum 2012-2019 zur Anwendung und deckten alle EU-Märkte ab.
  • Zudem hinderte der Konzern zehn in bestimmten Mitgliedstaaten tätige Alleinvertriebshändler daran, Verkaufsanfragen von Kunden in anderen Mitgliedstaaten ohne vorherige Genehmigung durch Mondelēz zu beantworten. Diese Vereinbarungen und Verhaltensweisen kamen im Zeitraum 2006-2020 zur Anwendung und deckten alle EU-Märkte ab.

Die Kommission stellte ferner fest, dass Mondelēz im Zeitraum 2015-2019 seine marktbeherrschende Stellung unter Verstoß gegen Artikel 102 AEUV missbrauchte, indem es

  • sich weigerte, einen Makler in Deutschland zu beliefern, um den Weiterverkauf von Tafelschokolade nach Belgien, Bulgarien, Österreich und Rumänien zu verhindern, wo die Preise dieser Produkte höher waren, und
  • die Lieferung bestimmter Tafelschokoladen in die Niederlande einstellte, um die Einfuhr dieser Produkte nach Belgien zu verhindern, wo Mondelēz sie zu höheren Preisen verkaufte.

Die Kommission kam daraufhin zu dem Schluss, dass die illegalen Praktiken von Mondelēz die Einzelhändler in ihrer Freiheit einschränkten, Produkte in Mitgliedstaaten mit niedrigeren Preisen zu beziehen, und zu einer künstlichen Aufteilung des Binnenmarkts führten. Mondelēz wollte verhindern, dass der grenzüberschreitende Handel zu Preissenkungen in Ländern mit höheren Preisen führt. Diese illegalen Praktiken ermöglichten es Mondelēz, seine eigenen Produkte weiterhin teurer zu verkaufen, was letztlich den Verbrauchern in der EU schadete.

Relevanz für Verbundgruppen

Die Entscheidung dürfte nicht uninteressant für Verbundgruppen unterschiedlicher Branchen sein: Immer wieder stoßen Verbundgruppen bei der Bündelung von Nachfrage auf nationale Grenzen. Auch wenn der Bezug bestimmter Produkte zumeist nicht insgesamt eingeschränkt wird, so müssen doch unterschiedliche Einkaufspreise für den Bezug in unterschiedlichen Mitgliedstaaten gezahlt werden. In der jüngsten Konjunkturumfrage mit einem Schwerpunkt auf die Europäische Union gaben daher auch 66,1% der befragten Verbundgruppen an, dass die Warenverkehrsfreiheit ein besonders wichtiger Aspekt des Binnenmarktes sei. Zudem forderten rund 23% der Befragten die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Beschaffungsmarktes (23,2 %). „Das sind klare Signale an die EU, dass der Europäische Binnenmarkt noch lange nicht vor seiner Vollendung steht.“ Kommentiert daher auch Tim Geier, Geschäftsführer Büro Brüssel die heutige Entscheidung.

Der Faktor Wettbewerbsrecht

Erst im letzten Jahr erfuhr das europäische Wettbewerbsrecht wichtige Änderungen, die auch für die Aufteilung von Vertriebswegen und Kundengruppen relevant sind; so können Hersteller durchaus sogenannte selektive Vertriebssysteme aufbauen, um den Absatz von Produkten – auch territorial - zu steuern (Stichwort „exklusive Vertriebsgebiete“). Dies jedoch jeweils unter der Prämisse, dass der Wettbewerb insgesamt durch die jeweilige Vereinbarung nicht unbillig beschränkt wird. Nach Auffassung der Europäischen Kommission dürfte Mondelēz das erforderliche Maß überschritten haben – mit Blick auf das verhängte Bußgeld sogar in einem erheblichen Umfang. „Es ist gut und wichtig, dass die Europäische Kommission insoweit klare Grenzen aufzeigt, welche Maßnahmen aufseiten der Hersteller zulässig sind, um den Absatz von Produkten zu fördern und wo dies in eine Wettbewerbsbeschränkung verkehrt wird.“ führt Tim Geier weiter aus.

Bekämpfung von Lieferbeschränkungen auf der Agenda

Die Europäische Kommission hat in ihrer Entscheidung klar auf die Unzulässigkeit solcher Lieferbeschränkungen abgestellt. Aufgrund der Marktmacht von Mondelēz war die Argumentation und Rechtfertigung der Entscheidung vergleichsweise einfach (wenn auch immer noch äußerst kompliziert in der Herleitung). In vielen Fällen agieren Hersteller mutmaßlich auf ähnliche Art und Weise, ohne jedoch die vorliegende Marktmacht auf sich vereinen zu können. Für Verbundgruppen bleiben diese Beschränkungen jedoch weiterhin spürbar, wenn Must-Have-Artikel nicht in allen Mitgliedstaaten zu denselben Konditionen bezogen und vertrieben werden können. Hier wird es interessant sein, inwieweit der Fall Mondelēz auch in solchen Fällen eine Präzedenz gesetzt hat.

Unterstützung könnten hingegen aufseiten der Mitgliedstaaten selbst erfolgen: Anfang Mai stellten eine Gruppe bestehend aus Belgien, Dänemark, Kroatien, Luxemburg, Niederlanden, Slowakei und Tschechien das der Rat für Wettbewerbsfähigkeit sich mit dem Umgang bzw. der Bekämpfung von territorialen Lieferbeschränkungen befassen soll. Zudem hatte auch der ehemalige italienische Ministerpräsidenten Enrico Letta in seinem Sondergutachten für den Europäischen Rat auf die Notwendigkeit der Bekämpfung territorialer Lieferbeschränkungen hingewiesen.

Mit Erfolg: Anlässlich der kommenden Sitzung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit steht das Thema auf der Agenda.

DER MITTELSTANDSVERBUND sieht erheblichen Handlungsbedarf bei diesem Thema. Sollten Waren nicht frei bezogen werden können, hindert dies auch den Auf- bzw. Ausbau des europäischen Geschäfts von Verbundgruppen. Die weitere Schwächung bzw. Stagnation vieler Mittelständler wäre damit vorprogrammiert – ganz zum Nachteil europäischer Verbraucher:innen.

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