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EuGH: Unternehmen dürfen fremde Markennamen für Google-Werbung nutzen

Im Streit zwischen Marks Spencer und dem Blumenversand Interflora um den Gebrauch der Marke "Interflora" für Online-Werbung entschied der Europäische Gerichtshof: Fremde Marken dürfen genutzt werden, wenn eine alternative Ware oder Dienstleistung angeboten wird.

Wie weit darf der Gebrauch fremder Marken beim Schalten von Onlineanzeigen gehen? Mit dieser Frage hatte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst zu befassen. Der EuGH hat nun entschieden, dass Wettbewerber fremde Marken dann für die eigene Werbung nutzen dürfen, wenn damit "eine Alternative zu den Waren oder Dienstleistungen des Inhabers der bekannten Marke vorgeschlagen wird". Ein derartiger Gebrauch fremder Marken stelle grundsätzlich "einen gesunden und lauteren Wettbewerb" dar. Anders sähe die Sache hingegen aus, wenn Wettbewerber fremde Marken im Rahmen von Onlinewerbung so als Schlüsselwörter einsetzen würden, dass Normalverbraucher "nicht oder nur schwer" erkennen können, von wem die beworbene Ware oder Dienstleistung angeboten wird. In einem solchen Fall droht nach Ansicht des EuGH eine Beeinträchtigung der Werbefunktion einer Marke (Urteil vom 22.09.2011 in der Rechtssache C-323/09).


Die Ausführungen des EuGH im Einzelnen:

Im vorliegenden Fall hat das nationale Gericht u. a. zu prüfen, ob Marks Spencer durch Benutzung von der Marke ihres Mitbewerbers Interflora entsprechenden Schlüsselwörtern im Rahmen des Google-Referenzierungsdienstes eine der „Funktionen“ dieser Marke beeinträchtigt oder diese in unlauterer Weise ausgenutzt (Trittbrettfahren) hat. Im Zusammenhang mit dem „AdWords“-Referenzierungsdienst von Google wählte M S das Wort „Interflora“ und Varianten dieses Wortes wie „Interflora Flowers“, „Interflora Delivery“, „Interflora.com“ und „Interflora co uk“ als Schlüsselwörter. Folglich erschien, wenn Internetnutzer das Wort „Interflora“ oder eine jener Varianten als Suchbegriff in die Suchmaschine Google eingaben, eine Anzeige von M S.

Der High Court of Justice (England), bei dem Interflora gegen M S wegen Verletzung ihrer Markenrechte Klage erhob, legte dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zu diesem Themenkomplex vor.

Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass in dem Fall, in dem ein Dritter ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen benutzt, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist, der Markeninhaber eine solche Benutzung nur verbieten darf, wenn sie eine der „Funktionen“ der Marke beeinträchtigen kann. Ihre Hauptfunktion ist die Gewährleistung der Herkunft der von der Marke erfassten Ware oder Dienstleistung gegenüber den Verbrauchern (herkunftshinweisende Funktion); die anderen Funktionen sind insbesondere die Werbe- und die Investitionsfunktion. Der Gerichtshof hebt hierzu hervor, dass die herkunftshinweisende Funktion der Marke nicht deren einzige Funktion ist, die gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte schutzwürdig ist. Eine Marke stellt nämlich häufig — neben einem Hinweis auf die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen — ein Instrument der Geschäftsstrategie dar, das u. a. zu Werbezwecken oder zum Erwerb eines Rufs eingesetzt wird, um den Verbraucher zu binden.

Unter Bezugnahme auf sein Urteil Google stellt der Gerichtshof fest, dass die herkunftshinweisende Funktion einer Marke beeinträchtigt ist, wenn aus der anhand eines der Marke entsprechenden Schlüsselworts erscheinenden Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen. Dagegen beeinträchtigt die Benutzung eines mit einer fremden Marke identischen Zeichens im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes wie „AdWords“ nicht die Werbefunktion der Marke.

Weiter prüft der Gerichtshof zum ersten Mal den Schutz der Investitionsfunktion der Marke. Diese Funktion der Marke ist beeinträchtigt, wenn ein Mitbewerber ein mit der Marke identisches Zeichen für identische Waren oder Dienstleistungen benutzt und diese Benutzung es dem Markeninhaber wesentlich erschwert, seine Marke zum Erwerb oder zur Wahrung eines Rufs einzusetzen, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden. In einer Situation, in der die Marke bereits einen Ruf genießt, wird die Investitionsfunktion beeinträchtigt, wenn eine solche Benutzung Auswirkungen auf diesen Ruf hat und damit dessen Wahrung gefährdet.

Dagegen darf der Markeninhaber einen Mitbewerber nicht an einer solchen Benutzung hindern können, wenn diese lediglich zur Folge hat, dass der Markeninhaber seine Anstrengungen zum Erwerb oder zur Wahrung eines Rufs, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden, anpassen muss. Ebenso wenig kann der Markeninhaber mit Erfolg den Umstand anführen, dass diese Benutzung einige Verbraucher veranlassen werde, sich von Waren oder Dienstleistungen der genannten Marke abzuwenden.

Im vorliegenden Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Benutzung des mit der Marke INTERFLORA identischen Zeichens durch M S die Möglichkeit von Interflora gefährdet, einen Ruf zu wahren, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden.

Zu den zusätzlichen Fragen betreffend den verstärkten Schutz bekannter Marken und insbesondere zur Tragweite der Begriffe „Verwässerung“ (Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der bekannten Marke) und „Trittbrettfahren“ (Unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke) stellt der Gerichtshof u. a. fest, dass es als Trittbrettfahren zu beurteilen sein kann, wenn ohne „rechtfertigenden Grund“ im Rahmen eines Referenzierungsdienstes Zeichen ausgewählt werden, die mit einer fremden bekannten Marke identisch oder ihr ähnlich sind. Dies kann insbesondere für Fälle anzunehmen sein, in denen Werbende im Internet mittels Auswahl von Schlüsselwörtern, die bekannten Marken entsprechen, Waren zum Verkauf anbieten, die Nachahmungen von Waren des Inhabers dieser Marken sind.

Wenn dagegen im Internet anhand eines Schlüsselworts, das einer bekannten Marke entspricht, eine Werbung gezeigt wird, mit der — ohne eine bloße Nachahmung von Waren oder Dienstleistungen des Inhabers dieser Marke anzubieten, ohne diese zu verwässern oder ihre Wertschätzung zu beeinträchtigen (Verunglimpfung) und ohne im Übrigen die Funktionen dieser Marke zu beeinträchtigen — eine Alternative zu den Waren oder Dienstleistungen des Inhabers der bekannten Marke vorgeschlagen wird, fällt eine solche Benutzung grundsätzlich unter einen gesunden und lauteren Wettbewerb im Bereich der fraglichen Waren oder Dienstleistungen.

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