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Draghi-Bericht veröffentlicht – Verbundgruppen hoffen auf Entlastungen

Der Bericht von Mario Draghi beantwortet zwei drängende Fragen, die für Europas Zukunft entscheidend sind: Wo stehen wir derzeit und wo wollen wir hin? Er konstatiert, dass Europa durch wirtschafts- und industriepolitische Fehlentscheidungen in den vergangenen Jahren gegenüber der Konkurrenz aus China und USA massiv an Boden verloren habe und nun vor einer „existenziellen Herausforderung“ stehe. Als eine der Kernforderungen formuliert der Bericht eine europäische Schuldenoffensive– der falsche Weg, findet DER MITTELSTANDSVERBUND. Auf effektive und vor allem realistische Umsetzungen komme es jetzt an.

Brüssel, 16. September 2024 - Anfang letzter Woche war es nach langer Wartezeit endlich soweit: Mario Draghi, ehemaliger EZB-Chef und italienischer Ministerpräsident, legte seinen Bericht zu dem Status-Quo der europäischen Wirtschaft vor. Das 328-seitige Dokument zeichnet ein herausforderndes, allerdings auch realistisches und unverblümtes Bild des Standorts Europa – und hält mit Kritik an den Brüsseler Gesetzgebern nicht zurück.

Für verschiedene Sektoren identifiziert Draghis Bericht jeweils aktuelle Wachstums-Hindernisse und formuliert zum Teil auch konkrete Empfehlungen, mit denen bestehende Problematiken begegnet werden können. Einige davon sind:

  • Innovation:

Seit der Jahrtausendwende hat Europa vor allem im Vergleich zu den USA wirtschaftlich den Anschluss verloren. Als einen der Gründe hierfür sieht der Bericht digitale Entwicklungen wie das Internet, Cloud-Computing oder Künstliche Intelligenz, die Europa schlicht verschlafen hat. In Sachen Innovation fordert der Bericht daher eine Produktivitätsoffensive in Bereichen, die noch nicht als „verloren“ gelten.

Zu den Vorschlägen gehört der Ausbau von europäischen Förderprogrammen oder die engere Verzahnung von Forschung und Wirtschaft. Auch vor protektionistischen Maßnahmen zum Schutz junger europäischen Unternehmen vor ausländischer Übernahme schreckt der Forderungskatalog nicht zurück.

  • Energieversorgung und Wettbewerbsfähigkeit:

Einer der Hauptgründe für die stockende Wirtschaft in Europa besteht in hohen Energiepreisen im Vergleich zur Konkurrenz. Die Dekarbonisierung sieht der Bericht somit nicht mehr allein im Bereich des Klimaschutzes, sondern auch der Wettbewerbsfähigkeit und Energiesicherheit.

Beschleunigte Genehmigungsverfahren, ein einheitliches rechtliches Rahmenwerk für Interkonnektoren zum grenzüberschreitenden Stromhandel sowie die EU-Finanzierungsinstrumente diesbezüglich zu stärken, werden hier als Maßnahmen genannt.

  • (Versorgungs-) Sicherheit:

Richtigerweise begreift der Draghi-Bericht die Themen Rohstoffkette, Abhängigkeiten und Sicherheit als einheitliches, zusammenhängendes Konzept. Um sich in kritischen Rohstoffen wie Kupfer oder Lithium nicht von systemischen Rivalen abhängig zu machen, benötigt die EU eine eigene „Ökonomische Außenpolitik“, wie es Draghi formuliert.

Hierzu gehören größere Bemühungen in Investitionen in Drittländern sowie Partnerschaften mit globalen strategischen Partnern – etwa in einem „G7+ Critical Raw Materials Club“. Auch Potenziale auf dem Europäischen Festland müssen ausgeschöpft werden, etwa Lithiumquellen in Portugal.

Nicht zuletzt bedarf es einer koordinierten Anstrengung im Bereich der Gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung, etwa um Redundanzen in der Beschaffung von Waffensystemen zu vermeiden.

  • Finanzen:

Wie bereits im Letta-Bericht (Verlinkung!) auch, fordert Draghi die Vollendung der Kapitalmarktunion, um private Investitionen zu erleichtern. Hierzu gehört die Schaffung eines einheitlichen Wertpapierregulierers sowie eine Harmonisierung von Steuer- und Insolvenzvorschriften. Den sektorübergreifenden Investitionsbedarf sieht Draghi darüber hinaus bei 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Finanziert werden soll dies durch europäische Gemeinschaftsschulden. Diesbezüglich hatte sich Berlin in der Vergangenheit wiederholt kritisch geäußert.

  • Governance:

Zu träge, unflexibel und komplex sei der Gesetzgebungsprozess der Union für die anstehenden Aufgaben– aus diesem Grund fordert der Bericht eine effektivere Gestaltung der Arbeitsweise. Hierzu gehören eine gezielte Trennung von Themen mit EU-Priorität auf der einen sowie die Enthaltung und Gewährleistung des Subsidiaritätsprinzips bei weniger relevanten Themen auf der anderen Seite. Zudem wird gefordert, den Gesetzgebungsprozess schneller zu gestalten, etwa durch mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rat.

Darüber hinaus legt der Bericht den Finger in die Wunde, wenn es um die Herausforderungen des Mittelstands geht. So wurden seit 2019 insgesamt 13.000 Rechtsvorschriften vonseiten der Brüsseler Gesetzgeber erlassen – im selben Zeitraum waren es in den USA nicht einmal die Hälfte. Viele Unternehmen hierzulande ächzen unter der Last der Brüsseler Bürokratie, obwohl sie von den Vorteilen des Binnenmarktes teils gar nicht profitieren.

Dopplungen, Unsicherheiten und Inkonsistenzen in Vorschriften führen laut Bericht sogar zu einem „regulatorischen Deckel“, der Kleinstunternehmen am Wachstum hindere, da diese mit den für KMU geltenden Pflichten überfordert wären.

Nicht zuletzt stelle das sogenannte „Gold Plating“ ein großes Problem dar, wonach Mitgliedstaaten den Regelungsrahmen einer Richtlinie in ihrer nationalen Umsetzung stark überstrapazieren. Einige Vorschläge macht der Bericht, um die Situation mittelständischer Unternehmen zu verbessern:

  • Die Ernennung eines Kommissions-Vize-Präsidenten für „Regulatorische Vereinfachung“: Dieser soll am Anfang eines Mandats gemeinsam mit den anderen Kommissaren das bestehende EU-Regelwerk nach Möglichkeiten zur Straffung und Vereinfachung durchforsten. Ähnliche Forderungen stellte bereits Letta in seinem Bericht

  • Kritische Prüfung von „Gold Plating“: Danach soll auch die nationale Umsetzung europäischer Regeln einer Überprüfung durch die Single Market Enforcement Task Force unterliegen

  • Die Reduzierung der Berichtspflichten für KMU um 50%

  • Die Einführung einer einheitlichen Methodik für die Berechnung des Kostenaufwands neuer europäischer Vorschriften (bereits seit Jahren Praxis beim deutschen Gesetzgeber)

  • Die Erlaubnis des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, um Compliance-Kosten zu senken, sowie harmonisierte Berichtsformate und digitale Plattformen für Berichterstattung
DER MITTELSTANDSVERBUND fordert:
Versprechen des Bürokratieabbaus endlich einlösen!

Mario Draghis Bericht zeigt unverblümt auf, dass ein „weiter so wie bisher“ keine Option für Europa darstellt. Er vermag, die neuralgischen Problempunkte unseres Wirtschaftsstandortes zu benennen, und stellt somit einen wichtigen ersten Schritt in die richtige Richtung dar.

Allerdings schafft er es vielerorts nicht, seinen eigenen Anspruch an „schnell umsetzbare und effektive“ Maßnahmen zu erfüllen, etwa wenn er ein unrealisierbares EU-Schuldenpaket in Höhe von 800 Milliarden Euro jährlich vorschlägt.

Auch konterkariert die Forderung nach einem schnelleren Gesetzgebungsprozess die Politik des Green Deals, der mittels unzähliger Richtlinien und Verordnungen in Rekordzeit den Weg durch die EU-Institutionen fand – ein durchdachterer und koordinierter Prozess hätte an dieser Stelle die Fülle an überlagernder Berichtspflichten womöglich reduzieren können.

Schnell umsetzbar, effektiv und realistisch – diese Eigenschaften vereinen sich in den vorgeschlagenen Maßnahmen, die auf den Abbau der Bürokratie abzielen. Die Reduzierung der Regulatorik ist jedoch ein Versprechen, das bereits seit Jahren in Brüssel getätigt wird.

Nun gilt es, dieses endlich einzulösen, meint Dr. Henning Bergmann vom MITTELSTANDSVERBUND auch im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen: "Der europäische Acquis muss konsequent entschlackt werden, um das nötige Investitionsvolumen gerade im kooperierenden Mittelstand zu aktivieren. "

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Tim Geier | Geschäftsführer Büro Brüssel | DER MITTELSTANDSVERBUND
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